Leseprobe

78 Anja Simonsen Fülcke selbst unter der Zwangsverwaltung des Brühlschen Vermögens durch die Sequestrationskommission in gewohnter Manier beizubehalten suchte. Die intensive Aufarbeitung gartenhistorischer Quellen21 war wesentlicher Bestandteil der im Jahr 2020 erstmals als Arbeitsprojekt des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen erarbeiteten gartendenkmalpflegerischen Zielstellung für die Gartenanlagen von Nischwitz, nordöstlich von Leipzig im Muldental gelegen. Mithilfe ihrer Ergebnisse, verbunden mit paralleler Bestandsanalyse, konnte nun der Seltenheitswert der in ihrer Fläche vollumfänglich erhaltenen Anlagen herausgestellt, der beträchtliche Umfang an Gehölzschäden bewertet und eine Entwicklungskonzeption erarbeitet werden. Gerade im Hinblick auf die gärtnerische Kontinuität und Überlieferung, im Falle von Nischwitz nachweisbar über einen Zeitraum von über 265 Jahren, zeigt sich die verantwortungsvolle Aufgabe, der wir uns aktuell in zahlreichen historischen Gärten stellen müssen: Es gilt, das Werk ganzer Gärtnergenerationen vor Zergliederung und den Folgen des Klimawandels zu bewahren. Ausbau und Bedeutung der Nischwitzer Gartenanlagen unter Heinrich Graf von Brühl und Maria Anna Franziska Gräfin von Brühl Heinrich Graf von Brühl, 1737 zum Reichsgrafen ernannt, hatte das Rittergut Nischwitz inklusive vier zugehöriger Bauerngüter im Jahr 1743 erworben22 und ließ das bestehende Herrenhaus verstärkt ab 1746 nach Plänen des kursächsischen Oberlandbaumeisters Johann Christoph Knöffel (1686–1752) und unter Leitung von Ludwig August Hoffmann und Christoph Friedrich Sparing23 im Stil eines Maison de plaisance umbauen. Der nördlich an das Corps de logis anschließende Trakt wurde als Orangerie mit südlich ausgerichteter Vollverglasung ausgebaut, während der südliche Nebenflügel als Küchentrakt diente, rückseitig ergänzt durch einen kleinen Wirtschaftshof mit Pferdeställen.24 Der vormalige Wirtschaftshof wurde auf das nördlich angrenzende Grundstück mit Schäferei verlegt, wodurch Platz für die genannte Dreiflügelanlage mit doppelarmiger Freitreppe und vorgelagertem Ehrenhof wurde und die Funktionen fortan räumlich klar getrennt waren. Die sich westlich des Schlosses erstreckende Fläche wurde zum Lustgarten (Untergarten) ausgebaut, während sich nördlich ein Küchengarten (Obergarten) angliederte. Eine im Landesamt für Denkmalpflege Sachsen aufbewahrte, Johann Christoph Knöffel zugeschriebene Entwurfszeichnung dokumentiert das vertiefte, zwischen Schloss und halbkreisförmiger Treillagearchitektur aufgespannte Boulingrin mit angeschlossenen Boskettbereichen als zentrales Element der Gartengestaltung (Abb. 1). Erste Hinweise zur Anlage dieses neuen, repräsentativen Lustgartens im Stil des Rokoko auf dem sich bis an die Muldenaue hinziehenden Gelände gibt ein Brief der Gräfin von Brühl (1717–1762) an Carl Heinrich von Heineken (1707– 1791) vom Juli 1750, in dem sie Gedanken zur Nischwitzer Abb. 2 Lageplan des Schlossparkes Nischwitz, Umzeichnung von Hugo Koch nach der Flurkarte von Feldmesser Christian Conrad Francke aus dem Jahr 1753, aus: Koch, Hugo: Sächsische Gartenkunst, Berlin 1910 (Reprint Beucha 1999), S. 259, Abb. 206; Legende der Gartenbereiche von Anja Simonsen, 2020. A Ehrenhof mit Brusthecken und Linden B Küchengarten/Obergarten mit Spaliermauern und Hecken C Lustgarten/Untergarten mit Boskettbereichen D Wirtschaftshof mit Schäferei a »Point de vue« b Pavillon c Lusthaus mit Lindengang d Wasserbecken e Kaskade mit halbkreisförmigem Orangerieparterre f Abgesenktes Boulingrin mit Broderie h Berceau/Treillage mit Aussichtspavillon i Gartenpavillons mit Aussichtsterrasse in die Muldeaue j »Saal ohne Dach«, Lattenwerksarchitektur k Spieleanlage, evtl. Kegelbahn l Spieleanlage, evtl. Scheibenschießen

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