Über die Sorgen eines Gärtners 81 Spargel, Artischocken und Schnittblumen. Ausgelaugter Boden und kalte Winter erforderten regelmäßige Düngergaben und Nachpflanzungen, und auch die Jagd auf Maulwürfe schlug mit wiederkehrenden Lohnausgaben zu Buche.60 • Baumschule und Obstbaumzucht Weiterhin existierte seit 1756 eine von Fülcke wieder eingerichtete Baumschule, in der Bäume angezogen, veredelt und gehandelt wurden.61 Heinrich Graf von Brühl scheint hier eine Tradition fortgeführt zu haben, denn im Nischwitzer Gutsareal wurden, wie nun nachgewiesen werden konnte, bereits Anfang des 18. Jahrhunderts unter Friederike Charlotte von Wendt (1684/86–1762) begehrte Obstbäume gezogen und verkauft. Die im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen verwahrte »Specification derer zu Holtzhausen 1737 im April gepflanzten Jungen Obst Böhme« belegt den Ankauf von 124 Jungbäumen aus Nischwitz zur Pflanzung auf Rittergut Holzhausen bei Nieheim in Ostwestfalen, Stammsitz des westfälischen Adelsgeschlechts Von der Borch.62 Mit einem weiteren Dokument aus dem Jahr 1741, der »Specification Derer Sorten von OculirReißern, welche der Gärtner Rößig am 4. April 1741 aus dem Garten zu Nischwitz geholet haben will«,63 ist zudem ein Handel mit dem Rittergut Rötha belegt, nur wenige Jahre vor dessen Übernahme durch Heinrich Graf von Brühl. Die Listen benennen insgesamt rund 60 verschiedene Obstgehölzsorten – neben hochstämmigen Apfel-, Kirsch- und Birnensorten niedrigstämmiges Franzobst, Pfirsiche sowie »Frantzösche Pflaumen«, darunter Aprikosen und Mirabellen. Sie bezeugen den zu dieser Zeit in Nischwitz hohen Stand der Pomologie und sind insbesondere Beleg dafür, dass hier ein fachkundiger Baumgärtner mit dem Wissen um die Techniken der Veredelung angestellt war. Offenbar wurde die Obstbaumzucht so erfolgreich betrieben, dass ein nennenswerter Überschuss an Gehölzen zum Verkauf angeboten werden konnte. • Orangerie Besondere Aufmerksamkeit erforderte die Pflege der Nischwitzer Orangerie. Das fächerförmig gestaltete Orangerieparterre, Präsentationsort der etwa 195 Pflanzen umfassenden Sammlung,64 befand sich am Geländesprung zwischen Ober- und Untergarten (Abb. 1, 2). Es war wirkungsvoll durch eine Brüstungsmauer mit Treppen und die Wasserkaskade von Knöffler inszeniert.65 Das Inventar aus dem Jahr 1765 listet Zitronen-, Pampelmusen-, Pomesinen-, Pomeranzen- und Feigenbäume sowie Lorbeerbäume in Pyramiden- und Kugelform. Die Überwinterung der kostbaren, empfindlichen Gewächse bereitete dem Schlossgärtner Fülcke alljährlich Sorgen, insbesondere seit die Fenster des Orangeriegebäudes in Folge der preußischen Plünderungen im Jahre 1758 beschädigt und nur notdürftig repariert waren,66 sodass der ohnehin zu große Bestand teils »ineinander gepfropfft« überwintert werden musste »und keine Frucht zur reiffe käme«.67 • Sonderaufgaben Eile und Sorgfalt waren geboten, sobald sich der Graf von Brühl in Nischwitz ankündigen ließ. Er besuchte Leipzig mindestens zweimal im Jahr während der Messen und nutzte für seinen Aufenthalt mit Vorliebe sein so verkehrsgünstig vor den Toren der Stadt gelegenes Landschloss.68 Die Rechnungsbücher vermerken »der Herrschafft Anweßenheit bey der Leipziger OsterMeßReise hin und zurück in Nischwiz« erstmals im Mai 1754.69 Die Anwesenheit des Kurfürsten Friedrich August II. ist nicht belegt, wohl aber besuchten zwei leider nicht näher benannte »Hof Dames« Nischwitz im Februar 1755.70 Wie der eingangs zitierte Brief des Gärtners Fülcke widerspiegelt, galt der Landsitz Nischwitz als höfischer Repräsentationsort. Hintergrund der von Carl Heinrich von Heineken mit Nachdruck geforderten Gartenpflege war der geplante Aufenthalt des Grafen von Brühl in Nischwitz anlässlich der Michaelismesse in Leipzig im Jahr 1763.71 Die angegebene Summe zur Gartenpflege in Höhe von 800 Talern gibt einen Eindruck, was in den verbleibenden drei Monaten bis zu Brühls Ankunft in den Gartenanlagen zu leisten war, wenn jährlich für die Pflege des Untergartens regulär »4[00] bis 500 [Thaler] erforderl[ich] seyn, um solchen ordentlich und reinlich zu erhalten«.72 Dass das Amt des Obergärtners kein reiner Pflichtposten war, sondern dass dieser sich dem ihm anvertrauten Boden eng verbunden fühlte, bezeugt besonders eindrucksvoll die im Brief erwähnte Begebenheit aus dem Jahr 1758. Unter Einsatz seines Lebens war es Johann Heinrich Fülcke gelungen, die etwa 200 Nischwitzer Orangeriepflanzen73 vor den plündernden preußischen Truppen zu bewahren. Darüber hinaus bestückte er die Gartenanlagen noch nach Brühls Tod mit wertvollen Artischockenpflanzen, ließ Bäume liefern und neue Kübel für die Orangeriepflanzen anfertigen.74 Nach Brühls Tod 1763 und zeitweiser Verwaltung durch die Sequestrationskommission wurde Nischwitz im Jahre 1777 an den Leipziger Juristen Dr. Philipp Heinrich Lastrop (1750–1801) verkauft, der insbesondere umfangreiche Wiederherstellungsarbeiten am vom Siebenjährigen Krieg gezeichneten Schloss realisieren konnte. Spätestens 1772 war der Schlossgärtner Johann Heinrich Fülcke in das benachbarte Thallwitz gewechselt, wo er als »hochgräfl. Kunst: wohlerfahrner Lust und Orangen Gärtner«75 wirkte. Das Kirchenbuch von Thallwitz verzeichnet seinen Tod im hohen Alter von fast 81 Jahren am 19. Juni 1795.76 Die landschaftliche Umgestaltung im 19. Jahrhundert Unter der Familie von Ritzenberg, Eigentümer seit 1817, erlebten die Nischwitzer Gartenanlagen eine zweite Blüte. Ferdinand Eduard Theodor von Ritzenberg (1792–1849) und seine Frau Amalie Caroline Jacobine (1809–1878), beide rege und begeisterte Kunstsammler und -förderer, machten das Schloss um die Mitte des 19. Jahrhunderts zum Anziehungspunkt für zahlreiche namhafte Künstler, darunter die renommierten Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857) und Ernst Rietschel (1804–1861), der Maler Louis Gurlitt (1812– 1897) sowie der Architekt und Maler Gustav Adolf Boenisch (1802–1887). Der regelmäßige Austausch mit den beiden zeitweise in Nischwitz lebenden Künstlern Gurlitt77 und Bönisch78 in der Zeit von 1848 bis 1851 und die stets reiche Gästeschar müssen Inspiration und Anlass für die Umgestaltung des Untergartens im landschaftlichen Stil gewesen sein (Abb. 4).79 Bönisch wirkte nach dem Tod Ferdinand von Ritzenbergs im Jahr 1849 als Generalbevollmächtigter80 und wird in der Sekundärliteratur als federführender Gartenarchitekt genannt.81 In umgekehrter Richtung wirkten die Nischwitzer Gartenanlagen auf die Künstler, wie Tagebucheinträge und
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