Leseprobe

138 Veranstaltungen und Berichte unter Leitung des Architekten August Perret (1874–1954), oder der noch stalinistisch geprägte Piata Constitutiei in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens, von 1984. Wie ein ikonenhaftes Vorbild der klassischen Moderne erscheint der 1928 vorgelegte Siegerentwurf zum Berliner Alexanderplatz von den Brüdern Hans und Wassili Luckhardt (1890–1954; 1889– 1972). Es wäre interessant zu erfahren, ob ihn die Planer des Neustädter Marktes kannten. Weit mehr überzeugt beim Vergleich das ebenfalls und schon wesentlich länger unter Denkmalschutz stehende Ensemble des Luisenplatzes in Darmstadt (Abb. 6), weil es eine analoge Genese oder Ausgangssituation für den Wiederaufbau und eine vergleichbare »Adaption« einer älteren bzw. früheren Planung gab. Auch Darmstadt war im Zweiten Weltkrieg zerstört und die Bevölkerung stark dezimiert worden. Im Bereich des Luisenplatzes gab es vorher eine vor allem aus dem 19. Jahrhundert stammende, regelmäßig angelegte, dichtere Bebauung als heute, ähnlich jener der Inneren Neustadt in Dresden. 1698 entstanden, zeigt der Luisenplatz nach dem Wiederaufbau um 1960 auf der Ostseite formal mit dem Neustädter Markt vergleichbare Elemente: als große Geste ein von einer Umfriedung eingefasstes, zentrales Denkmal, hier für den ersten hessischen Großherzog Ludwig I. (1753–1830), etwas abweichend ein weiteres kleines Denkmal, dazu zwei seitliche Brunnen und Platzwände von Bauten deutlich jüngeren Datums. Die Situation des Luisenplatzes mit ihren nicht stumpfwinklig, wie am Neustädter Markt, sondern im rechten Winkel abgeknickten Bauten orientiert sich jedoch stärker an den Strukturen bis 1945 und erscheint somit konventioneller. Es fehlt hier zudem die Hinwendung zu einem Fluss und somit das großzügigere landschaftsräumliche Bild des Dresdner Neustädter Marktes. Mittlerweile wurde der Schutzumfang des Luisenplatzes ausgedehnt. In Dresden fallen bei der Beurteilung der Denkmaleigenschaft die nach 1989/90 erfolgten Sanierungen eines Teils der Häuser des industriellen Wohnungsbaus nicht so stark ins Gewicht, weil die Anlage des Neustädter Marktes als Ganzes mit der Form und der Anordnung seiner Freiräume und Gebäude hier den wesentlichen Teil der Denkmalaussage bildet. Letztere ergibt sich insbesondere aus der unwiederholbaren städtebaulichen Situation sowie der gestalterischen Qualität und dem damit verbundenen öffentlichen Interesse an deren Erhaltung. Es bleibt festzuhalten, dass es sich beim Neustädter Markt um ein charakteristisches frühes Beispiel des DDRStädtebaus der Nachkriegsmoderne handelt, da er eher als der Dorotheenplatz in Leipzig und das Nicolaiviertel in Berlin entstanden ist. Es sind verschiedene städtebauliche Freiraumfiguren, die sich hier überlagern – Boulevard und Schmuckplatz mit herausragenden künstlerisch repräsentativen Elementen, wie den »Wasserkünsten« und dem »Goldenen Reiter«. Da ist der Mittelbereich und die beruhigten Zonen an den beiden Flanken, die dem Platz eine besonders durchdachte Funktionalität bescheren. Die Überlagerung wird gestalterisch geschickt durch den geöffneten Blick nach Süden gelöst. Nach Norden wird der Raum um den »Goldenen Reiter« durch die Positionierung der Baumblöcke zusammengefasst bzw. in die Hauptstraße übergeleitet. Öffnung und Überleitung werden letztlich durch die markante Stellung der Gebäude ebenfalls betont, weswegen die Platzgestaltung und die Hochbauten ein vielfach verflochtenes und stimmiges Ganzes bilden. Abbildungsnachweis 1 SLUB/Deutsche Fotothek, Foto: Gerhard Otto, Luftbildvertrieb, df_hauptkatalog_0749854; 2 LfD Sachsen; 3 SLUB/Deutsche Fotothek, Foto: Brück und Sohn, df_bs_0030202_postkarte; 4 SLUB/ Deutsche Fotothek, Foto: Martin Würker, df_hauptkatalog_0194701; 5 LfD Sachsen, Foto: Ulrike Hübner-Grötzsch; 6 LfD Sachsen, Foto: Michael Müller. Mandy Fischer, Dorit Gühne »Digitale Denkmaltopografie« Abschluss des Pilotprojektes Seit der Veröffentlichung der Denkmalliste des Freistaates Sachsen im Internet 2017 sind Informationen aus der Datenbank zum sächsischen Denkmalbestand einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Diese Publikation weiter zu qualifizieren und die Arbeit der praktischen Denkmalpflege zu stützen, war ein Ziel des Projektes »Digitale Denkmaltopografie«, welches von 2017 bis 2021 durch sechs Mitarbeiterinnen im Landesamt für Denkmalpflege Sachsen bearbeitet wurde.1 Als Schwerpunkt wählte man den Altkreis Annaberg mit seinem besonders vielfältigen Bestand. So sind hier neben einer Vielzahl ländlicher Kulturdenkmale bedeutende Grünanlagen, z. B. anspruchsvolle Gärten von Fabrikantenvillen, und herausragende technische Denkmale überprüft worden. Letztere haben zudem seit 2019 eine zusätzliche Würdigung als Bestandteile des UNESCO-Weltkulturerbes »Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří« erhalten. Für das genannte Gebiet gelang es, die Grundlagenforschung fortzuschreiben. In der systematischen Bearbeitung dieser geschichtsträchtigen Kulturlandschaft bestand sowohl der Reiz als auch die Abb. 6 Darmstadt, Luisenplatz nach Osten, Foto Mai 2022.

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