Leseprobe

26 Lia Bertram, Andreas Schulze, Tino Simon Kirchen im Freiberger Stadtgebiet (Abb. 4). Im Stadt- und Bergbaumuseum waren vor allem diejenigen Objekte von Interesse, die nachweislich aus Freiberger Kirchen oder denen des Landkreises stammen,10 sowie 27 Skulpturen, deren ursprüngliche Herkunft noch ungeklärt ist. Bis jetzt konnten insgesamt 73 Kunstwerke aus dem Dom und dem Museum eingehend untersucht und auch zahlreiche neue Erkenntnisse zu ihrem ursprünglichen Kontext, ihrer Objektgeschichte und ihren kunsttechnologischen Besonderheiten gewonnen werden.11 Da sich in Freiberg kein vollständiges Retabel der Spätgotik erhalten hat, wurde auch der äußerst qualitätsvolle und kunsthistorisch bedeutsame Flügelaltar in der Kirche St. Nikolai in Oberbobritzsch in das Untersuchungsprogramm einbezogen (Abb. 5). Inschriftlich auf das Jahr 1521 datiert, steht das Retabel – nur mit einer kleinen Unterbrechung von Mai 1916 bis Februar 1917 zwecks seiner Restaurierung auf Initiative der Königlichen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler – seit nunmehr genau einem halben Jahrtausend an seinem Platz in der Kirche.12 Wenngleich noch einzelne Untersuchungsschritte wie Röntgen- und Infrarot-Reflektografie-Aufnahmen der Demontage des Retabels im Zuge der kommenden Konservierungs- und Restaurierungskampagne vorbehalten bleiben müssen, so konnten doch zahlreiche kunsttechnologisch wie kunsthistorisch bedeutsame Erkenntnisse gewonnen und dokumentiert werden. Dies betrifft unter anderem das Aufmessen und die zeichnerische Erfassung konstruktiver Details der Retabelbauteile, Umzeichnungen von Ornamenten und Schriftbändern, Kartierungen zur ursprünglichen Verwendung der verschiedenen Blattmetalle und Ziertechniken sowie die Lokalisierung und Dokumentation früherer Überarbeitungen. Besonders interessant hinsichtlich grenzübergreifender Geschäftsbeziehungen zwischen den Auftraggebern und den Künstlern beziehungsweise Werkstätten ist der Nachweis der Verwendung ein- und derselben Vorlage beziehungsweise Pause für das Brokatmuster auf dem Kleid der Heiligen Katharina auf dem Gemälde ihres Martyriums in Oberbobritzsch und auf einer Tafel aus der Dekanatskirche zu Most (Brüx/Tschechien). Da die gewonnenen Forschungsergebnisse nicht nur den einschlägigen Fachkreisen, sondern auch den Eigentümern und der interessierten Öffentlichkeit in entsprechend aufbereiteter Form zugänglich gemacht werden sollen, wurde im Rahmen des Projektes eine kleine Publikation zum Oberbobritzscher Altar verfasst und herausgegeben.13 Zudem fließen alle Untersuchungsergebnisse in die denkmalpflegerisch-restauratorische Zielstellung für die in allernächster Zeit anstehenden Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen mit ein. Dem Aspekt der grenzübergreifenden Zusammenarbeit mit den tschechischen Projektpartnern dienten, neben zahlreichen gegenseitigen Besuchen und Beratungen, unter anderem die Untersuchung, Konservierung und Restaurierung eines spätgotischen Reliefs aus der Dekanatskirche in Most (Brüx/Tschechien) im Rahmen einer Diplomarbeit,14 eine Exkursion von Studierenden und Lehrenden des gesamten Studienganges Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut der HfBK Dresden im Jahr 2019 durch Nordböhmen sowie die Beteiligung an Fachveranstaltungen und Ausstellungen mit Vorträgen und der Anfertigung museumsdidaktischer Modelle zu historischen Fassungs- und Maltechniken durch Studierende im Rahmen der kunsttechnologischen Lehre von Ivo Mohrmann. Einige der geplanten Aktivitäten blieben leider pandemiebedingt auf der Strecke, so die Exkursion der tschechischen Fachkolleginnen und -kollegen zu sächsischen Objekten. Gleiches trifft auf die Übernahme der in Chomutov (Komotau/Tschechien) vorbereiteten, dort aber leider nur virtuell zu erlebenden Begleitausstellung zu den Arbeitsergebnissen der tschechischen Projektpartner durch das Freiberger Museum zu.15 Rückblickend kann bilanziert werden, dass die Projektziele trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie erfolgreich verwirklicht werden konnten. Auch wenn die Anzahl der untersuchten und dokumentierten Kunstwerke im Vergleich zur Zahl aller Objekte in Sachsen recht klein erscheinen mag, so konnte mit den Recherchen zu diesem Gesamtbestand, mit der Entwicklung einer geeigneten Untersuchungssystematik, dem Aufbau einer Forschungsdatenbank sowie der Untersuchung und Dokumentation von ca. 65 Prozent aller relevanten Kunstwerke im Landkreis beziehungsweise von fast 90 Prozent aller Objekte in der Stadt Freiberg ein allererster, aber doch wohl nicht unwesentlicher Schritt auf dem noch sehr weiten Weg zu einem Korpuswerk spätgotischer Schnitzkunst und Tafelmalerei in Sachsen zurückgelegt werden. Abb. 5 Oberbobritzsch, Kirche St. Nikolai, Flügelaltar von 1521, Gerüststellung während der Untersuchungen am Retabel, Foto März 2020.

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1