Leseprobe

108 1 MAR I ET TA ROBUST I (VENEDIG CA. 1551 – 1590 VENEDIG) Selbstbildnis mit Jacopo Strada (1507–1588) um 1567/68 Öl auf Leinwand 99,5 × 121 cm Provenienz: 1749 aus der kaiserlichen Galerie in Prag erworben; 1945 bis 1955 in der UdSSR (Moskau); Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 270 Literatur: Borghini 1584, S. 558 f.; Inv. Prag 1662, fol 16 v, Nr. 214; Inv. Prag 1718, Nr. 214; Inv. Prag 1737, Nr. 292; Inv. Dresden 1747/50, 36 r, Nr. 310; Kat. Dresden 1765, G.I. Nr. 187; Kat. Dresden 2007, Bd. 1, S. 216; Kat. Dresden 2006/07, Bd. 2, S. 538; Bull 2009, S. 680 f. Das Doppelbildnis zeigt einen älteren Herrn auf einem Holzstuhl sitzend. Er wendet sich einer jüngeren Person zu, die sich zu ihm neigt und mit ihrer rechten Hand auf etwas außerhalb des Bildraums hinweist. Aufgrund des vergilbten Firnis ist die differenzierte Ausarbeitung der Figuren nicht gut erkennbar. Ihre schwarzen Gewänder verbinden sichmit demdunklen Hintergrund, nur Hände und Gesichter leuchten hervor. Im Dresdner Inventar 1747/50 wird das Werk als Giacomo Robusti, genannt Tintoretto, geführt und entsprechend beschrieben: »Quadro in tela, con due ritratti vestiti di nero, uno Vecchio, e l’altro giovane, più di mezze figure al naturale, Opera delle megliori, fù della Galleria di Praga.« Duncan Bull erkannte in der stehenden Person Marietta Robusti, die vormals berühmte Tochter von Jacopo Tintoretto, die sich gemäß ihres späteren Biografen Carlo Ridolfi als Junge verkleidet habe, um ihren Vater zu begleiten. Unter Bezugnahme auf den ersten Biografen Raffaello Borghini, der berichtete, Marietta habe ein Bildnis von Jacopo Strada und sich angefertigt, kam Bull zu derThese, es handle sich umdie einst in Besitz von Kaiser Maximilan II. befindlichen Bildnisse von Jacopo Strada und Marietta Robusti. Die Diskussion, ob Borghini ein Doppelbildnis oder zwei einzelne Bildnisse beschrieb – »[…] fece il ritratto di Iacopo Strada Antiquario dell’Imperador Massimiliano secondo, & e il ritratto di lei stessa, i quali, come cosa rara, sua Maestà gli tenne in camera sua, […]« –, lässt sich mit dem Galerieeintrag von 1765 vergleichen, denn auch hier ist anhand der Beschreibung nicht eindeutig, ob ein oder zwei (getrennte) Porträts gemeint sind. Doch sowohl die Prager Provenienz des Gemäldes als auch die biografischen Notizen sprechen für Bulls These. Eine neue, weitere Gewichtung erhält sie durch die kürzlich unternommene röntgendiagnostische Untersuchung.1 ImRöntgenbild ist in der rechten stehenden Person deutlich eine Frau zu erkennen. Dieser Befund deckt sich wiederummit demEintrag zu diesemGemälde im Prager Inventar von 1662: »214 Tintoretto origl. / Ein Contrafect eines / Manns, unndt eines / Weibs Bildts«. Das Doppelbildnis von Jacopo Strada und Marietta Robusti entstand vermutlich um 1567/68, als der kaiserliche Antiquar im Auftrag des Herzogs von Bayern in Venedig undMantua weilte. Seit jeher sind Selbstbildnisse zugleich Zeugnisse der Selbstreflexion. Sowohl Kleidung als auch Umgebung, in der sich der Künstler oder die Künstlerin inszenierte – ob bei der Arbeit, beimMusizieren (Abb. 1, S. 28) als eine mythologische oder historische Figur –, berichten über ihre Ambitionen, ihren Anspruch, ihr Selbstverständnis und über den Künstlerberuf an sich. Neben Einzelporträts finden sich ebenso Doppelporträts: Freundschaftsbilder – eines der bekanntesten stammt von Raffael2 – oder Paarbildnisse wie jenes von Rubens und Isabella Brant.3 Das Besondere an diesem Doppelbildnis ist, dass sich die Künstlerin gemeinsam mit dem seinerzeit einflussreichen Antiquar des Kaisers darstellte. Dabei bezog sie sich explizit auf das zuvor von Tizian ausgeführte Porträt Jacopo Stradas4 und setzte sich als Frau selbstbewusst ins Bild. Allerding muss Strada nicht der Auftraggeber gewesen sein. Vielleicht war er lediglich die Bezugsperson oder der Vermittler, um einen Kontakt zum kaiserlichen Hof herzustellen. Dies gelang offensichtlich, denn das außergewöhnliche Doppelbildnis der Künstlerin mit dem Antiquar verwahrte Maximilian II. als seltenes Stück in seiner Kammer.5 | I R I S YVONNE WAGNER 1 Vgl. den Beitrag von Iris Yvonne Wagner in diesem Band, S. 20 f. 2 Raffael, Selbstporträt mit einem Freund, 1518/1520, Öl auf Leinwand, 99 × 83 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. 614. 3 Peter Paul Rubens, Rubens und Isabella Brant in der Geißblattlaube, um 1609/10, Leinwand, auf Holz übertragen, 178 × 136,5 cm, München, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 334. 4 Vgl. den Beitrag von Iris Yvonne Wagner in diesem Band, S. 16 f. 5 Aus der kaiserlichen Galerie Prag gelangten neben diesem Doppelbildnis weitere bedeutende Gemälde Tintorettos in die Dresdner Sammlung. Es wäre zu prüfen, wann sie Prag erreichten und ob das Doppelbildnis für Tintoretto möglicherweise die »Eintrittskarte« in die kaiserliche Sammlung war.

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