Wenig weiß die Kunsthistoriografie über Marietta Robusti, Tochter des berühmten venezianischen Malers Jacopo Robusti, genannt Tintoretto (1518–1594), zu berichten. Stets zitiert wird als zeitgenössische Quelle die kunsttheoretische Schrift Il Riposo von Raffaello Borghini (1537–1588), der einen kurzen Abschnitt über Marietta verfasste.1 Darin lobte er topoihaft nicht nur ihre Schönheit sowie ihr musikalisches und künstlerisches Talent, sondern berichtete auch von einem Porträt Jacopo Stradas (1507–1588), des Antiquars von Kaiser Maximilian II., und von der Künstlerin selbst, das der Kaiser als etwas Seltenes in seiner Kammer aufbewahre. Obgleich der Kaiser, der König Philipp von Spanien und Erzherzog Ferdinand diese exzellente Künstlerin an ihre Höfe holen wollten, gestattete dies ihr Vater nicht. Sie sei, so Borghini, etwa 28 Jahre alt und male, aber da er keine weiteren Informationen über ihr Œuvre habe, fahre er nicht fort, über sie zu schreiben. Ihr späterer Biograf Carlo Ridolfi (1594–1658) weiß in seinen Maraviglie dell’arte kaum mehr zu berichten als Borghini, an demer sich orientierte.2 Er ergänzte, dass Tintoretto seine Tochter im Malen und Zeichnen unterrichtete und sie überall hin mitnahm, wofür sie sich wie ein Junge gekleidet habe. Sie sei eine gute Porträtistin gewesen und schuf neben zahlreichen Bildnissen venezianischer Adliger eines von Marco de’ Vescovi (mit langem Bart) und seinem Sohn Pietro. Darüber hinaus erfahren wir, dass Marietta mit dem Goldschmied Marco Augusta verheiratet wurde und viele Bildnisse von Freunden ihres Mannes anfertigte, die größtenteils verloren sind. Sie sei im Jahr 1590 mit 30 Jahren gestorben und in der KircheMadonna dell’Orto beigesetzt worden. Aufgrund der raren Quellenmit divergierenden Angaben über Marietta Robusti ist sich die Forschung bis heute weder über die Lebensdaten noch über ihr Œuvre einig – sofern man überhaupt davon sprechen kann. DI E UNEHEL ICHE TOCHTER Ein späterer, aber wichtiger Hinweis, den die Biografien verschweigen, findet sich in der Genealogia della Casa Tintoretto von 1682.3 Dort heißt es, Marietta sei die Tochter Jacopos und einer deutschen Frau gewesen, die der Künstler sehr liebte. Er habe Mutter und Tochter in der Darstellung einer Frau mit einem Mädchen an der Hand auf einem Gemälde für die Kirche Madonna dell’Orto verewigt.4 Obwohl die Quelle von der Forschung kritisch rezipiert wird, verdient der Hinweis auf dieses Gemälde Beachtung. Denn Madonna dell’Orto war die Pfarrkirche des Viertels Cannaregio in Venedig, in das Tintoretto 1547 zog, und mit der er auch geschäftliche Beziehungen pflegte. 1551 unterzeichnete er den Vertrag, für die beiden Orgelflügel der Kirche ein Gemälde vom Tempelgang Mariens zu schaffen.5 Es wurde erst 1556 vollendet, denn in diesem Jahr erhielt Tintoretto die letzte Zahlung.6 Um 1560 entstanden zwei weitere großformatigeWerke mit der Anbetung des Goldenen Kalbes und des Jüngsten Gerichts. Zwischen Ende 1559 und Anfang 1560 heiratete Jacopo die aus angesehener venezianischer Familie stammende √ Detail aus Abb. 1
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