Leseprobe

25 und Berater innehatte und Carriera in Crozats Haus begegnete. Er war unter anderem an Zeichnungen und Drucken interessiert, bevor er sich der eigenen Kunstproduktion hingab und 1745 seine Kurzbiografien der berühmtesten Maler inklusive der Carrieras unter dem Titel Abrégé de la vie des plus fameux peintres veröffentlichte.21 Den vielleicht prestigeträchtigsten Auftrag gleich zu Beginn ihres Aufenthalts in Paris erhielt Carriera von Philipp II. persönlich. Ihr wurde angetragen, ein Porträt des zehnjährigen Ludwigs XV. anzufertigen, wofür sich die Malerin mehrfach bei Hof einfinden musste. Da Carriera während ihres Aufenthalts regelmäßig Tagebuch führte, ist uns ein detaillierter Bericht dieser Treffen am königlichen Hof erhalten geblieben. Darüber hinaus reflektieren ihre Notizen, wie erfolgreich und infolgedessen arbeitsintensiv die Zeit in Paris war. Ihre Bilder fanden eine derartige Anerkennung, dass siemit Aufträgen geradezu überschüttet wurde. Bereits ab sechs Uhr morgens empfing sie ihre Kunden, um der Masse an erfragten Porträts Herr zu werden, und am Ende waren um die 50 Pastelle das erstaunliche Resultat.22 Von besonderer Bedeutung für die Malerin dürfte während ihrer Zeit in Paris ferner der Austauschmit Künstlerkollegen gewesen sein, wozu Nicolas de Largillière, JeanFrançois de Troy und der Hofporträtist Hyacinthe Rigaud gehörten.23 Nach ihren Tagebucheinträgen lernte sie auch die Pastellmaler Jean-BaptisteMassé, Jacques-Antoine Arlaud sowie Joseph Vivien kennen.24 Viviens Arbeit dürfte sie in besonderemMaß interessiert haben aufgrund seiner herausragenden Rolle, die seine Pastelle in den Pariser Salonausstellungen genossen.25 Die Begegnung mit JeanAntoine Watteau führte zu mehreren Besuchen seitens Carrieras, bevor sie im Februar 1721 damit begann, ein Porträt ihres Kollegen anzufertigen (Abb. 3). Es zeigt die bereits angegriffene Gesundheit Watteaus, der wenige Zeit nach Carrieras Abreise mit nur 37 Jahren verstarb.26 Zwei weitere illustre Repräsentanten der Pariser Kulturwelt müssen in diesem Zusammenhang genannt werden: Antoine Coypel und sein Sohn Charles-Antoine Coypel. Antoine Coypel war nicht nur einer der bekanntesten Künstler des französischen Hofs mit dem offiziellen Titel Premier peintre du Roy (Der ersteMaler der Königs); seit 1714 war er auch Direktor der Académie royale de peinture et de sculpture und ein echter Verehrer von Carrieras Kunst, was sich unter anderem in seinen eigenenWerken niederschlug.27 Den absoluten Höhepunkt ihrer Reise bildete schließlich eine einzigartige Auszeichnung: Am 26. Oktober 1720 wurde Carriera in die Pariser Kunstakademie aufgenommen, eine der prestigeträchtigsten Einrichtungen der europäischen Kunst- und Kulturszene, und dazu noch als erste und bis dahin einzige ausländische Malerin.28 Für die Anfertigung ihres Aufnahmestücks ließ sich Carriera jedoch Zeit. Erst nach ihrer Rückreise nach Venedig im Frühjahr 1721 begab sich die Künstlerin langsam daran, an dem für die Akademie bestimmten Pastell zu arbeiten. Um die Geduld der Franzosen nicht zu sehr zu strapazieren, schickte sie imOktober 1721 einen Brief nach Paris, in dem sie ihre Arbeit ganz nach demantiken Vorbild der Ekphrasis beschrieb.29 Sie sollte eine Nymphe im Gefolge Apollos darstellen (Abb. 4). Der Sonnengott gehörte seit Ludwig XIV. zur offiziellen Ikonografie des französischen Hofes, auf den Carriera jedoch nur imTitel anspielte und ihren Beitrag passend zu einer in Frankreich gängigen Bildsprache auf nur eine weibliche Figur reduzierte, eine Nymphe. Diese erinnert an eine Marmorfigur der Gruppe Apollon und die Nymphen von François Girardon und Thomas Regnaudin, die Carriera sicherlich in den Gärten von Versailles bewundert hatte (Abb. 6). Gleichzeitig stellt ihre Nymphe in ihrer Haltung eine raffinierte Adaption von Leonardo da Vincis Heiligem Johannes dem Täufer (Abb. 5) dar, das heißt, der Künstlerin war es gelungen, gewandt und scharfsinnig Anspielungen auf die Literatur der Antike, französische Staatsikonografie und italienische Abb. 3 Rosalba Carriera Porträt eines Herrn (Jean-Antoine Watteau [?]) 1721 · Pastell auf Papier 55×43 cm Treviso, Musei Civici di Treviso

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1