Leseprobe

56 Rosalba Carriera und der Reiz der Dolce Vita in Venedig Beginnen wir mit der Überlegung, welche Ingredienzien zum Erfolg von Rosalba Carriera beigetragen haben, denn dieMalerinwurde in ihremHeimatland undmehr noch im Ausland schon in jungen Jahren berühmt. Das lag gewiss an ihremGeschick, den Zeitgeschmack einzufangen, sowie an ihrer Fähigkeit, in ihren Porträts jene besondere Note von Sympathie zu vermitteln, die die Kultur der Empfindsamkeit feierte und in David Hume ihren eifrigen Verfechter fand.1 Doch die Aufmerksamkeit, die Rosalba im Ausland erregte, lässt sich auch auf die Faszination von Venedig zurückführen, den besonderen Lebensstil, den man hier pflegte, und vor allem auf die Venezianerinnen, von deren Freiheit voller Staunen in den Berichten von Reisenden, Adligen und Schöngeistern erzählt wurde, die der Stadt in der Lagune auf ihrer Grand Tour einen unverzichtbaren Besuch abstatteten. Während der Franzose François MaximilienMisson bereits Ende des 17. Jahrhunderts anmerkte, dass sogar die Nonnen inkognito ausgingen und die Damen die Dienste von Gondolieri in Anspruch nahmen, um sich ungestört durch die Stadt zu bewegen,2 ging der gestrengeMontesquieu noch weiter, indem er behauptete, dass die Venezianerinnen dank der Maskierung »vont avec qui elles veulent, et où elles veulent« (gehen, mit wem sie wollen und wohin sie wollen).3 Für den französischen Philosophen, der am 16. August 1728 nach Venedig kam, war eine solche Freiheit ein Indiz für den Niedergang des Geistes, was sein kritisches Urteil über die republikanisch-aristokratische Regierung der Serenissima verstärkte. Für den jungen englischen Adligen Horace Walpole war sie hingegen ein Element des Friedens und der Lebensfreude, die man hier genoss. Während Paris zweifelsohne die Hauptstadt der Konversation und der Salons war, dies jedoch stets in enger Verbindung mit dem Hof und seinen Intrigen, machte Venedig durch eine recht weit verbreitete Geselligkeit auf sich aufmerksam, die sich auf Cafés, Vereinigungen, Theater, Kasinos, die Sprechzimmer der Klosterschwestern, die Konservatorien und Krankenhäuser, in denen Waisenmädchen inMusik und Gesang unterrichtet wurden,4 und nicht zuletzt imöffentlichen Raumauf Gassen und Plätzen ausdehnte.5 Madame du Boccage vermerkte während ihres Aufenthalts in der Stadt in ihren Reisenotizen, dass die Freiheit, die die Frauen in Paris genossen, in Venedig »unendlich« weit übertroffenwürde,6 ganz zumVorteil der Venezianerinnen, vor allem in den Nachtstunden. Auch Venedig unterzog sich dem allgemeinen Prozess städtischer Umgestaltung, der die europäischen Großstädte ab dem Ende des 17. Jahrhunderts ergriffen hatte und dessen Ziel es war, unter dem Druck des demografischen Wachstums, des steigenden Verbrauchs und der immer zahlreicher werdenden Geschäfte die Lebensqualität zu verbessern. All das machte auch die Ausstattung mit einer Stadtbeleuchtung erforderlich. Hier stand Venedig anderen ausländischen Haupt- und Großstädten in nichts nach, als der Senat 1732 die Installation von 843 Öllaternen beschloss, um die Nacht zu erhellen und sicherer zu machen, was dieMobilität der Frauen weiter erleichterte.7 Der französische Abt Gabriel-François Coyer vermerkte 1763, dass die Straßen in Venedig so gut beleuchtet seien, »was in Italien nicht üblich sei«.8 Ferner waren die Besucher überaus erstaunt über die verbreitete Gewohnheit des Patriziats, aber auch des Bürgertums und all jener, die dieMöglichkeit dazu hatten, sich in kleinen Lokalen zur Konversation und anderen Zerstreuungen zusammenzufinden, die nicht zwangsläufig zügellos oder auf Glücksspiel ausgerichtet waren. Wie die Reisenden außerdem feststellen konnten, hatten die Damen sogar ihre eigenen Lokale – genau wie ihre Ehemänner. Im Jahr 1744 wurden bei einer Zählung durch die Staatsinquisition, der Behörde zur Überwachung der öffentlichen Ordnung, 118 Spielkasinos ermittelt. Bis zum Ende der Republik 1797 stieg die Zahl auf 136.9 Ein großer Teil davon konzentrierte sich auf die sogenannte Hauptachse der Konversation, die vom Markusplatz bis zu den Vierteln San Moisè und Frezzerie verlief, wo sich das Postamt befand und auch die Schreiber der Stadtzeitungen ihre Informationen einholten. Auch in den Randgebieten oder der Giudecca, woman sich in größerer Diskretion zusammenfinden konnte, lag somanches Spielkasino. Andere standen in direkter Verbindung mit den pulsierenden Orten der venezianischen Gesellschaft, zum Beispiel den Theatern, die nicht nur von vielen Fremden, sondern auch von Patriziern, Bürgerlichen und dem Volk aufgesucht wurden, durch ihren Sitzplatz voneinander getrennt, aber verbunden durch dieselbe Gewohnheit und den gemeinsamen Genuss. Was jedoch die Besucher der Stadt und ganz besonders die Briten besonders beeindruckte, war das für Venedig typische Aufsuchen lebhafter Cafés, von denen die Stadt übersät war. Diesewaren häufigmit internen oder anliegenden »Zimmerchen« ausgestattet, die zur Konversation und für Zusammenkünfte von Verbänden verwendet wurden. Es waren so viele, dass 1759 beschlossen wurde, ihre Zahl auf 206 einzuschränken (Abb. 1). In England, der Heimat der Clubs und Vereine, waren die Cafés, die bereits Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden waren, jedoch Orte, die ausschließlich von einemmännlichen Publikumaller sozialer Schichten aufgesucht wurden und nicht als Lokale für respektable Frauen galten – die weibliche Präsenz bestand lediglich aus den Frauen, die die Cafés betrieben, hier als Kellnerinnen arbeiteten oder als Prostituierte auf Freier warteten. In Frankreich, wo die Entwicklung von Kaffeehäusern erst später einsetzte, waren die Gäste überwiegend

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