Leseprobe

57 Männer, wenn auch nicht ausschließlich. Die Anwesenheit von Frauen beschränkte sich auf Angestellte, Ehefrauen oder Töchter der Cafébesitzer, Kellnerinnen, Prostituierte und Dienerinnen sowie verheiratete Frauen, allerdings nur in Begleitung ihrer Ehemänner. Es handelte sich nicht um ein für Frauen der Oberschicht geeignetes Ambiente, und zur Wahrung ihrer Achtbarkeit mussten diese immer von einemmännlichen Vermittler eingeführt werden.10 So war die unglaubliche Vermischung, die das venezianische Leben kennzeichnete, in den Augen der Besucher eine Quelle des Staunens, der Faszination und der Verführung. In der Regierung löste sie allerdings auch Befürchtungen aus: Die Cafés waren zum wichtigsten Informations- und Treffpunkt geworden, und das Zusammentreffen des Adels mit den anderen Klassen und vor allem mit Fremden barg die Gefahr von undichten Stellen und Spionage. Außerdem war gerade die Bewegungsfreiheit der Frauen und insbesondere der Patrizierinnen Anlass für besorgte Bemerkungen seitens der Inquisitoren: »Seitdem es sich allgemein eingebürgert hat, dass sich Frauen, selbst von adeligem Stand, auf den Straßen und Plätzen allen Blicken aussetzen, sogar in Zeiten, in denen das Tragen von Masken nicht erlaubt ist, haben sie, nachdem sie die auf einem natürlichen Schamgefühl beruhende Zurückhaltung überwunden haben, auch Einzug in Cafés gehalten.«11 Nach diversen Verordnungen zur Schließung von Cafés nachMitternacht und zur Entfernung von Stühlen und Bänken in der Nacht gingen die Inquisitoren 1766 so weit, dass sie Frauen aller Stände das Betreten von Cafés untersagten. Ein Befehl, der als so widersinnig empfunden wurde, so im Widerspruch stand zur venezianischen Lebensweise und zu der Freude, die Frauen aus der Enge der Vergangenheit zu befreien, dass er eineWelle des Protests auslöste, die von den Angestellten der Kaffeehausbetreiber und der Stimme des Volkes ausging und sich sogar in Reimen ausdrückte: »E i caffè fe’ serar? O che cogioni!« (Und ihr wollt die Cafés schließen? Welche Schande!)12 Schließlich wurden die Maßnahmen zurückAbb. 1 Antonio Canal, gen. Canaletto Piazza San Marco und die Säulen der Procuratie Nuove um 1756 · Öl auf Leinwand 46,4×38,1 cm London, The National Gallery, Inv.‑Nr. NG 2516

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