Leseprobe

59 genommen. Niemand in der Stadt wünschte eine solche räumliche Trennung, und es wurde beschlossen, dass die Cafés für beide Geschlechter bestimmt seien. Im Übrigen war das gesamte öffentliche Leben mittlerweile von Geselligkeit und mixité13 geprägt. Es war also kein Zufall, dass Rosalba Carriera von illustren Ausländern – wie dem Kurfürsten von Bayern, Maximilian II. Emanuel von Wittelsbach – bereits ab 1706 Aufträge zu Porträts der schönsten venezianischen Damen erhielt, besonders jener, die nicht nur für ihre Anmut berühmt waren, sondern auch für ihr Talent, demStadtleben durch ihren Lebensstil Farbe und Esprit einzuhauchen. Mehrmals erhielt Rosalba Anfragen über die Anfertigung eines Bildnisses der für ihren Salon berühmten Lucrezia Basadonna Mocenigo, sowohl von Johann Wilhelm II. von der Pfalz, durch dessen Sekretär, den Schriftsteller GiorgioMaria Rapparini aus Bologna, als auch vomGrafen vonMecklenburg-Schwerin, Christian Ludwig II., durch Vermittlung von Hans Bötticher.14 Während eines Besuchs in Venedig bat Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen, Rosalba um Elfenbein-Miniaturporträts von zwölf venezianischen Edeldamen, von denen Pietro Del Negro neben Signora Basadonna weitere benennen konnte: Marietta Correr, also Maria Donà, Ehefrau von Filippo Corner di San Marcuola, Maria Vendramin Zenobio, vielleicht Elena Correr Piscopia in Foscari, und Maria Civran Labia.15 Nach den ersten Aufträgen wurden weitere Patrizierinnen porträtiert, beispielsweise Caterina Sagredo, die erste Ehefrau von Antonio Pesaro im Jahr 1732, die dann, schon früh verwitwet, 1739 die Frau von Gregorio Barbarigo wurde. Das erste Bild gab sie selbst bei Rosalba in Auftrag – sie kam aus einer Familie von Sammlern und Mäzenen –, um ihren eigenen Ruhm zu fördern (Abb. 2).16 Gebildet, lebhaft und unternehmungslustig, wie man an der Pose unschwer erkennen kann, in der Rosalba sie porträtierte, war sie auch im Ausland für ihre Reisen bekannt; in Venedig wurde sie von den Ausländern bewundert, sodass sie beimErlernen der englischen Sprache sogar von Robert d’Arcy, IV. Graf von Holderness, dem britischen Botschafter in der Lagunenstadt, unterstützt wurde.17 Der französische Botschafter, François-Joachim de Bernis, hingegen erinnerte sich an sie als liebe Freundin, die ihm nach der Rückkehr in seine Heimat sehr fehlte.18 Lady Mary Wortley Montagu schrieb an Francesco Algarotti, der auch in Kontakt mit Carriera stand: »J’aime beaucoup Madame de Barbarigo. Elle a une bonté de Cœur qui m’enchante.« (Ich mag Madame Barbarigo sehr. Sie hat eine Herzensgüte, die mich entzückt.)19 Und er betonte ihre herausragende Fähigkeit als Dame des Hauses beim Empfang eleganter und raffinierter Gesellschaften; ihr Bekannten- und Freundeskreis war groß, sodass LadyMontagu in der Tat anmerkte: »gestern Abend in der Akademie bei Mme Barbarigo imBeisein von drei- oder vierhundert Personen«.20 Caterina fühlte sich bei diesen Empfängen ebenso wohl wie bei Zusammenkünften im kleineren Kreis, deren Hintergrund ihre Kasinos bildeten. Madame du Boccage berichtet, dass sie »au casin de M.me Barbarigo«21 in San Basso gegangen sei und dort ihre Übersetzerin Luisa Bergalli mit deren Ehemann Gasparo Gozzi getroffen habe, den sie bereits einige Tage zuvor im Haus von Filippo Farsetti kennengelernt hatte. Das Kasino, das Caterina Sagredo in Giudecca gemietet hatte, mit einem großen Garten, den sie in eine Anlage namens Cavallerizza umgewandelt hatte, damit sie ihrer großen Leidenschaft, demReiten, nachgehen konnte, wurde 1747 von den Inquisitori di Stato geschlossen, um den Umgang mit Ausländern, die diplomatische Posten innehatten, zu unterbinden.22 Welche Verbindungen bestanden zwischen Rosalba und diesen Patrizierinnen? Man beachte, dass Rosalba keine Besucherin aristokratischer Salons war, nicht einmal derjenigen, die von den von ihr dargestellten Damen besucht wurden. Wertschätzung verband sie mit einigen von ihnen, anderen verdankte sie Dienste oder auch Gefallen wie gemietete Häuser auf dem Land, oder aber sie erbat von ihnen Hilfe beim Versand ihrer Werke. Ungeachtet dessen fühlte sie sich nicht zu diesem Ambiente hingezogen, möglicherweise aufgrund des sozialen Unterschieds oder auch ihres Charakters und ihrer Geisteshaltung. Sie beabsichtigte, wie Pietro Del Negro schrieb, »eine bürgerliche Variante«23 des weiblichen Protagonismus zu verwirklichen, der in Venedig dank der erweiterten gemischten öffentlichen Szene Einzug gehalten hatte. Eine ganz und gar bürgerliche Gesellschaftlichkeit Wir können also davon ausgehen, dass Rosalba Carriera für ihre ausländischen Auftraggeber als Repräsentantin des venezianischen Lebensstils fungierte, den sie selbst in ihren Gewohnheiten, die sich größtenteils in ihrer Korrespondenz widerspiegeln, interpretierte: Sie teilte nicht nur Mittag- und Abendessen, Besuche von Ausstellungen und Galerien, sondern auch Spaziergänge und Amüsement in der Karnevalszeit mit ihren Freunden, Ausländern und sie umgebendenVenezianern, allen voran ihremguten Freund Tonino (Antonio Maria Zanetti). Die fröhliche Truppe mischte sich unter die Menschenmenge, um Regatten anzuschauen, ging ins Café und genoss die Feste und Veranstaltungen, die Venedig zu einem anerkannten Ort der Unterhaltung machten. »Gehen Sie am Dienstag wieder maskiert, für mich«,24 schrieb ihr am 21. September 1704 Tonino, als dieser außerhalb von Venedig verweilte. Der Freundeskreis, der sich um Rosalba, ihre Schwestern und ihre Mutter scharte, spiegelte vor allem das Bürgertum der Berufe wider, bestehend aus dem Arzt Marco Musalo, den Notaren Carlo und Gabriele Gabrieli, der Fa-

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