105 Die hier zusammenströmenden Einflüsse, auch in der Architektur, prägten das äußere Erscheinungsbild Venedigs mit den großen Palazzi und ihren gotisierenden Fassaden. Die Stadt war auch ein intellektuelles Zentrum, ablesbar an den zeitweise hunderten von Buch- und Grafikverlagen. In der bildenden Kunst waren auch hier Renaissance und Barock tonangebend, obwohl sich die venezianische Malerei von der in Rom oder Florenz, vor allem durch Betonung der Farbe, unterschied. Internationale Gäste gehörten zum Alltag, und es bildete sich eine Festkultur heraus, die die einzigartige Stadt als Kulisse einbezog. Dies wird besonders an der eindrucksvollen Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts deutlich, die in Luca Carlevarijs und vor allem Antonio Canal, genannt Canaletto, ihre bekanntesten Vertreter fand. In diesen grandiosen Panoramabildern, die oft die klassischen Motive wie den Dogenpalast oder die Lebensader des Canal Grande zumThema haben, sind auch immer die Bewohner und ihre alltäglichen Beschäftigungen darstellungswürdig. Die oft von adligen oder fürstlichen Reisenden in Auftrag gegebenen Gemälde führen die Stadt vor Augen, wie sie sich in Teilen auch heute noch darbietet. Andere Maler wie Sebastiano Ricci, Giambattista Piazzetta oder Giovanni Antonio Pellegrini, der mit Carrieras Schwester Angela verheiratet war, zählen zu den Protagonisten der venezianischen Rokokomalerei. Giovanni Battista Tiepolo schließlich ragt nicht nur aus den venezianischen, sondern auch den italienischen Malern dieser Zeit heraus. Seine Fresken und Altarbilder waren hoch gerühmt, und sein erfolgreicher Werdegang führte ihn auch nach Deutschland und Spanien. Die Künstler der Stadt kannten einander und arbeiteten oft – gerade imBereich der Grafik – erfolgreich Hand in Hand. Rosalba Carriera zählt zu diesem Kreis der bekanntesten Künstler Venedigs. Sie war die herausragende Porträtistin der Stadt, eine Institution, zu der man ging, um sich malen zu lassen. Sie wohnte mit ihrer Familie in einem kleinen Palast am Canal Grande, in dem sie wohl auch ein Atelier eingerichtet hatte. Diese Lage hatte Carriera sicher bewusst gewählt, war die Ca’Biondetti doch leicht mit einer Gondel über das Wasser erreichbar, ideal für angesehene Persönlichkeiten, die unerkannt bleibenwollten. Unter ihnenwaren nicht nur hohe Beamte Venedigs, sondern auch Bildungsreisende aus England, Frankreich, Deutschland und Dänemark. Obwohl die Stadt und die Republik Venedig im 18. Jahrhundert als politische Macht und Handelszentrum in hohem Maß an Bedeutung verloren, blühte das Kulturleben umso mehr. Die Gäste kamen aber nicht nur wegen Carriera, sondern auch für die vielen Feste, die Musik und die Kunst. Sie bereicherten ihre Sammlungen mit hier erworbenen Kunstwerken, und sie alle genossen die Freizügigkeit, die ihnen die Stadt gewährte. RE
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