149 Vielleicht wurde Carriera ein wenig entschädigt durch ihre vielen internationalen Freunde und adligen Auftraggeber, die die Künstlerin in ihrem Atelier aufsuchten und so die Stadt und die kleine Republik Venedig mit Europas Machtzentren verbanden. Erst den beharrlichen Versuchen des französischen Bankiers und Sammlers Pierre Crozat gab sie 1720 nach und nahmdessen Einladung nach Paris an. Zusammenmit ihrer Mutter, ihren Schwestern und ihrem Schwager Antonio Pellegrini wohnten sie im Pariser Palais Crozats. Auf dieser Reise führte Rosalba akribisch Tagebuch, das ihren triumphalen Erfolg widerspiegelt. Sie traf bedeutende Persönlichkeiten und namhafteMalerkollegen, sie berichtete von ihrem großen Arbeitspensum und den vielen Aufträgen, denen sie kaum nachkommen konnte. Höhepunkt ist zweifellos die Aufnahme am 26. Oktober 1720 als erste ausländische Künstlerin in die französische Académie royale de peinture et sculpture – die bedeutendste und geschmacksbildende Institution in Frankreich. Im April/Mai 1721 reiste sie zurück nach Venedig. Über zwei Jahre später, im Juni 1723, reiste Carriera – wieder mit ihrer Mutter und der Schwester Giovanna – für etwa fünf Monate ins nur rund 200 Kilometer entfernt liegende Modena. Der ihr bereits bekannte Herzog Rinaldo d’Este hatte sie an seinen Hof geladen, um seine drei Töchter porträtieren zu lassen. Sie waren in ihren frühen Zwanzigern und sollten mithilfe der Pastelle, die in mehreren Fassungen gemalt und dann versendet wurden, erfolgreich verheiratet werden. Rosalba selbst beschrieb ihren Aufenthalt jedoch als langweilig. Abwechslung bot ihr die herzogliche Gemäldesammlung. ImNovember trat die Familie Carriera die Rückreise nach Venedig an. 1728 nahm die Malerin im damals zum Habsburger Reich gehörenden Gorizia an der Erbhuldigung von Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine teil. Hier wurde der Kontakt für ihre letzte und ertragreiche Reise nach Wien geknüpft.2 An der Einladung war sicher auch ihr Schwager Pellegrini beteiligt, der seit 1725 in Wien tätig war. Carriera traf mit ihren Schwestern in der Residenzstadt auf eine opulente kaiserliche Prachtentfaltung in der Architektur, der Musik und den bildenden Künsten. Sie nahmen intensiv am höfischen Leben teil, und auch in Wien erhielt Rosalba zahlreiche Porträtaufträge. Hervorzuheben sind die Bildnisse, die sie von denweiblichenMitgliedern der Habsburger fertigte, ebenso wie ihre offenbar herzliche persönliche Beziehung, die sich zwischen ihr und der ehemaligen KaiserinWilhelmine Amalie entwickelte.3 In Briefen an die Mutter, die aufgrund des Alters in Venedig verbleiben musste, wird deutlich, wie sehr Rosalba die Zeit in Wien, die Hochkultur, die vielen Begegnungen und vor allem die Wertschätzung, die ihr entgegengebracht wurde, genossen hat. Im Herbst traf sie wieder in Venedig ein. Es sollte ihre letzte Reise gewesen sein, ehe sie 1757 verstarb. RE 1 • Sensier 1865, S. 18. 2 • Oberer 2020, S. 250–256. 3 • Sani 2022.
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