Leseprobe

159 Die mythologischen Werke Rosalbas zeigen die weiblichen Figuren häufig in bewegten Posen, in denen Gewänder und Attribute spielerisch in Szene gesetzt werden. Auch bei der Wiedergabe der Gesichter löst sie sich von den klassischen frontalen Porträtsituationen zugunsten von Ausführungen in Untersicht oder im Profil. Wie für die Darstellung von allegorischen und mythologischen Gestalten typisch sind auch Carrieras Pastelle geprägt von Sinnlichkeit. In Anlehnung an die antiken Vorbilder wurden griechische Gottheiten und allegorische Figuren grundsätzlich nackt oder spärlich bekleidet wiedergegeben. Dies ermöglichte den Künstlern und Künstlerinnen nicht nur die Verhandlung sagenhafter Stoffe, sondern vor allem auch die Auseinandersetzung mit der menschlichen Anatomie und die Wiedergabe erotischer Inhalte. Bei Rosalba Carriera äußert sich dies oft in der Darstellung der entblößten Brust, die prominent in Szene gesetzt wird. In der religiösenMalerei Carrieras bilden den überwiegenden Anteil der Arbeiten Christus- undMariendarstellungen. Die oft kleinformatigenWerke sind von intimemund andächtigemCharakter. Da über Carrieras persönliche Religiosität keine Kenntnisse bestehen, ist nicht bekannt, ob es sich umAuftragswerke oder eigenständige Auseinandersetzungenmit demThema handelt, obgleich im Italien des 18. Jahrhunderts eine grundsätzliche Religiosität der Bevölkerung zu erwarten war. Bereits Zeitzeugen merkten an, dass ihre religiösen Bilder Ähnlichkeiten zum Werk Correggios zeigen, möglicherweise konnte sie auf ihrer Reise nach Modena einige seiner Arbeiten studieren. Auffällig ist der unterschiedliche Ausdruck der Heiligenfiguren. Während die Mariendarstellungen eher durch einen gesenkten oder gen Himmel gerichteten Blick in sich gekehrt und gottesfürchtig charakterisiert wurden, sind die Christusbilder meist mit direktem Blickkontakt auf die Betrachtenden fokussiert. Somit verkörpern diese Figurentypen Grundkonstanten der christlichen Lebenswelt: die Gruppe der andächtig Gläubigen und der ihr gegenübergestellte göttliche Erlöser. Sowohl die inhaltliche Ausrichtung als auch das kleine Format der Bilder lassen darauf schließen, dass sie zur Pflege der persönlichen Religiosität gedacht waren. Es handelt sich also nicht umKirchenstücke, sondern umWerke, die der privaten Andacht oder der Zurschaustellung der eigenen Frömmigkeit dienten. Von den Dresdner Stücken ist bekannt, dass sie zusammen mit den anderen Werken Carrieras im Pastellkabinett ausgestellt waren. Vermutlich waren sie also in erster Linie Ausdruck der künstlerischen Bandbreite Rosalba Carrieras und der üppigen Sammlung des Kurfürsten – auchwenn es naheliegend ist, dass August III. seinen Konfessionswechsel zumkatholischen Glauben auch imBildprogramm der Galerie darlegte. KP

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1