Leseprobe

234 Die Gemäldesammlung des sächsischen Kurfürsten Friedrich August II./polnischen Königs August III. umfasste einst die unglaubliche Zahl von 157 Pastellen von der Hand Rosalba Carrieras. Rund 170 Jahre bildete dieses Konvolut den Kernbestand des Pastellkabinetts. In den knapp drei Jahrzehnten zwischen dem Ende der Monarchie nach dem Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfuhr diese unvergleichliche Sammlung jedoch drastische Verluste. Aufgrund des nach langen Verhandlungen 1924 geschlossenen Auseinandersetzungsvertrags mit dem einst regierenden Haus Wettin mussten 14 Pastelle mit Originalrahmen (von insgesamt über 120 Gemälden) als Entschädigung abgegeben werden,1 von denen viele meist unverzüglich in den Kunsthandel gelangten. Darüber hinaus gelten seit demEnde des ZweitenWeltkriegs 28 Werke als vermisst; häufig gibt es bislang weder Kenntnisse zum möglichen Aufenthaltsort noch darüber, ob die Werke die Zerstörungen des Krieges überstanden haben. Der weitaus größte Teil von Carrieras Werken aber – 40 Exemplare – wurde ab 1919 bis etwa 1930 von dem damaligen Galeriedirektor Hans Posse über verschiedene Kunsthändler getauscht oder verkauft – ein heute in öffentlichen Museen undenkbarer Vorgang,2 um wiederum fehlende Werke in der Galerie, meist von Künstlern des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, zu erwerben. Zuletzt gingen 1946 noch vier Pastelle in den Handel. Auch von vielen dieser abgegebenen Objekte fehlt heute jede Spur, oft existiert nicht einmal eine Abbildung, die eine Identifizierung ermöglichen würde. Einige lassen sich in Privat- und Museumssammlungen nachweisen oder tauchen am Kunstmarkt auf, hin und wieder sogar noch im originalen Dresdner Rokokorahmen. Stellvertretend für diese wechselvolle Geschichte konnte für diese Ausstellung ein verkauftes Pastell zurückkehren: Klio, die Muse der Geschichte, die seitdem in deutschem Privatbesitz ist. Heute befinden sich noch 73 Pastelle im Bestand der Dresdner Galerie, mit 84 Werken ging also mehr als die Hälfte des Carriera-Bestands verloren.3 Auch bei den Miniaturen der Venezianerin ist eine große Lücke zu beklagen: Die ehemals 17 Exemplare waren lange Zeit zusammen mit den Pastellen im »Kabinett der Rosalba« im ehemaligen Stallhof, ab 1855 im Semperbau zu sehen. 13 Miniaturen waren 1945 verschwunden – aufgrund ihrer geringen Größe dürften sie gestohlen worden sein; wo sie sich heute befinden, ist nicht bekannt. Zwei weitere Werke waren bereits 1924 an den Verein Haus Wettin A. L. (Albertinische Linie) abgegeben worden, sodass insgesamt nur noch zwei Carriera-Miniaturen der Sammlung erhalten blieben. 1 • Rudert 2006/07, S. 101–106. 2 • Enke 2022. 3 • Henning 2009, S. 319–351.

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