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151 1918–1933 Steven Ritter it dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Jahr 1918 nicht nur zum Umbruchsjahr der deutschen Geschichte, sondern auch der Weltgeschichte. Der Konflikt mehrerer Großmächte, der sich über weite Teile des europäischen Kontinents erstreckte, forderte Millionen Menschenleben und sorgte zugleich für tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen. Das Deutsche Kaiserreich existierte nicht mehr, an seine Stelle trat die erste parlamentarische Demokratie der deutschen Geschichte: die Weimarer Republik. Doch ihre Voraussetzungen waren schwierig: Politische Angriffe von links wie rechts paarten sich spätestens seit der Weltwirtschaftskrise mit zunehmender sozialer Not. Zugleich steht die Weimarer Republik für eine Blüte in Kunst und Kultur, die heute vor allem unter dem Begriff der Goldenen Zwanziger firmiert – einer relativ stabilen Periode von Mitte bis Ende der 1920er Jahre. Hinsichtlich der deutschen Museumslandschaft dieser Zeit stellte der Kunsthistoriker Otto Homburger fest: »Ein frischer Luftzug durchdringt die Räume. Die an manchen Orten ein vergilbtes Aussehen angenommen hatten. Vergleichbar einem Netz, dessen Maschen sich täglich verengen, bedeckt ein System großer, kleiner und kleinster Museen das Land, überall Stätten schaffend, wo [. . .] ästhetisches Genießen einer alle Zeiten vertretenden Formenwelt, Stunden der Befestigung, der Sammlung gewährt.«1 Doch konnte auch das Lindenau-Museum mehr als 70 Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1848 noch die Versprechen von ästhetischem Genuss, einer alle Zeiten umfassenden Formenwelt und den »Stunden der Befestigung« einlösen? Dass sich das Lindenau-Museum, das seit 1912 ehrenamtlich von Albrecht von der Gabelentz geleitet wurde,2 in einer neuen Zeit wiederfand, zeigte sich bereits 1919: Aus dem Herzoglichen Sachsen-AltenburgischenMuseum wird das Staatliche Lindenau-Museum.3 Und obschon sich das Museum im ersten Jahr nach dem Krieg unter neuem Namen präsentierte, wurde es im gleichen Jahr durch einen Vorschlag des Kunstvereins zu Altenburg von der Vergangenheit eingeholt: Der Verein griff die Idee eines Denkmals zu Ehren Bernhard August von Lindenaus aus den 1890er Jahren wieder auf (Abb. 1). In einem Brief an das Gesamtministerium des Freistaates Sachsen-Altenburg bat der Vorstand um Genehmigung und Förderung des Denkmals. Ein beigefügter Entwurf sah eine Bronzebüste auf der Balustrade der Rotunde der Museumstreppe vor. Dass es letztlich nicht zur Ausführung des Projekts kam, ist auf die leere Staatskasse zurückzuführen, wie in der Berichterstattung zur entsprechenden Abstimmung in der Landesversammlung zu lesen war.4 Nicht ohne ironischen Unterton hieß es bereits kurz darauf in der Tagespresse: »Der Entwurf ist schon fertig und nicht viel hätte gefehlt, da wäre das Geld bewilligt worden, und die Vorlage wurde ausgeführt. Warum schreibt man in diesem, wie auch in anderen Fällen keinen Wettbewerb aus, und läßt die eingegangenen Arbeiten von berufenen Künstlern prüfen? Außer einem Kunstmaler hat das Land sicher auch Architekten und Bildhauer auszuweisen, die ein solches Denkmal schaffen können. Außerdem ist es ungerecht, wenn derartige Angelegenheiten immer im kleinen und kleinsten Kreise fertig gemacht werden. Hat man mit der Ausmalung des Treppenhauses im Museum noch nicht genug Erfahrung gesammelt? Die kostet schon Tausende und wird wohl nie beendet. Oder vielleicht durch einen Anstreicher?«5 Damit rekurrierte der Redakteur zugleich auf eine weitere künstlerische Veränderung des Hauses, die sich in den folgenden Jahren allerdings in den Innenräumen des Museums abspielen sollte: der Umgestaltung des Treppenhauses durch den Maler Ernst Müller-Gräfe (1879–1954). Dieser begann 1914 mit der Gestaltung des Treppenhauses. Aufgrund der Einberufung zum Militärdienst vollendete er sein Werk jedoch erst in den Jahren 1919 bis 19216 unter anderen künstlerischen, nun expressionistischen Gesichtspunkten. So hielt der mit dem Lindenau-Museum eng verbundene Maler Alfred Ahner (1890–1973) in seinen Tagebuchaufzeichnungen fest: »Nach dem Kriege [. . .] erlebe ich, wie er die rein impressionistisch gemalten, schon fertig u. sehr schönen Wandbilder [. . .] wieder abkratzte und sie, um in der [. . .] expressionistischen Periode zu gefallen, neu / malte. / Es ist dies so recht bezeichnend für den Kultursinn der Neuzeit – Nur um des äußeren Stils willen, vernichtet ein Maler sein Werk selbst [. . .].«7 M

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