Leseprobe

15 1848– 1876 Ronny Teuscher n den Journalen zur geplanten Eröffnung des neuen Lindenau-Museums, das zwar seine Traditionslinien bewahrt, doch gleichzeitig eine Neuschöpfung sein wird und sein Ausstellungskonzept genauso revolutioniert wie seine Räumlichkeiten, könnte es heißen: »Während in den [. . .] Wirren der Gegenwart der Sinn für Kunst und Wissenschaft untergegangen zu sein scheint, ist vor Kurzem in Altenburg eine Kunstschöpfung vollendet worden, die wohl verdient, auch außerhalb der engen Grenzen unsers Landes [. . .] bekannt zu werden.« Doch das Zitat stammt einleitend über Das Museum des Staatsministers v. Lindenau in Altenburg aus dem Dresdner Journal und Anzeiger vom 4. Dezember des Jahres 1848. Die Wirren jener Tage waren politischer Natur. Das Lindenau-Museum betrat die Bühne der deutschen und europäischen Kunstsammlungen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, dem Jahr der bürgerlich-demokratischen Revolution im Deutschen Bund, mit der Residenzstadt Altenburg als einem republikanischen Zentrum. Beim absolutistisch regierenden Altenburger Herzog, dem Adel und dem wohl begüterten Bürgertum ging das Gespenst des Kommunismus um. Durch eben jene Ereignisse war die Eröffnung des für Lindenaus Sammlungen konzipierten neuen Mittelgebäudes auf dem Pohlhof, Lindenaus elterlichem Freihof in der Altenburger Neustadt, fast unbemerkt vonstatten gegangen. Zwar waren am Freitag, den 7. April 1848, die Lindenau’schen Sammlungen erstmals für 20 »hiesige Einwohner« und am folgenden Tag für 20 »Landleute« gegen eine Eintrittskarte, die beim Rathaus zu erhalten war, zugänglich,1 doch während der Altenburger Barrikadentage2 im Juni 1848 rückte auch der Pohlhof in die Frontstellung zwischen republikanischer Bürgerschaft und Reaktion. Fern seines jüngst eröffneten Museums tagte Lindenau – »Feind der Reaction und der Revolution«3 – als gewählter liberaler Abgeordneter zur Nationalversammlung in Frankfurt, während sein Kustos, der Maler Erdmann Julius Dietrich, buchstäblich am Pohlhof die Stellung hielt. Als Bürgergardist einberufen, hatte Dietrich noch das Glück, dort an den aus Pflastersteinen, Fässern und Kutschen zusammengeschobenen Barrikaden eingesetzt zu werden, die den Weg durch den Garten hinter dem Pohlhof gegen das heranrückende königlich-sächsische Militär abriegelten, um ein wachendes Auge auf das Museum zu haben. »Daß bei solchen Zeiten der Kunst und Wissenschaft keine Beachtung gebracht werden kann und wird, ist natürlich«, schrieb Dietrich an seinen Dienstherrn Lindenau nach Frankfurt, und berichtete, dass zuletzt nur zwei der 20 erhältlichen Eintrittsbilletts nachgefragt wurden.4 Im September wurde bei der Besetzung Altenburgs durch Reichstruppen, um der herzoglichen Regierung wieder auf die Beine zu helfen, auch der Pohlhof nicht mit Einquartierung verschont,5 ja am 23. Oktober wurden selbst Kanonen hinter dem Pohlhof in Stellung gebracht.6 »Kunst als Mittel zur Vervollkommnung des technisch-gewerblichen Antriebs«7 Die Lindenau’schen Sammlungen sind nicht wie die Sammlungen Goethes die eines Kunstsammlers. Sind jene auf die Komplettierung der Bildung des Sammlers durch eigene Anschauung angelegt, wurden diese Lindenau bewusst für die Bildung der Allgemeinheit und damit zum öffentlichen Gebrauch zusammengestellt. Sein Museum dachte sich Lindenau aber nicht allein, es war erst Grundlage, »Bildungsmittel«8 für die das LindenauMuseum bis heute prägende Kunstschule. Hier sollte sich die Altenburger Jugend einerseits an den als unübertroffen geltenden Formen des Altertums und der Renaissance, andererseits im Geiste des die Frömmigkeit idealisierenden Biedermeiers an der christlichen Malerei Italiens üben können, um einen künstlerischen Geschmack auszubilden. So mancher erwarb sich hier das Rüstzeug zu einem guten Kunsthandwerker: »Wenn es durch diesen Unterricht und die Bekanntschaft mit Kunstwerken gelingt, junge Männer zu weitern Fortschritten zu befähigen und zu ermuntern [. . .], so soll aber auch die Beschauung meiner kleinen Sammlung Kunstfreunden insoweit gestattet und erleichtert werden, als es die beschränkte Räumlichkeit erlaubt.«9 War das Pohlhof-Museum darauf beschränkt, etwa bei seinen Antikensammlungen die Ästhetik der Antike abzubilden, tritt neben dieser sinnlichen heute die kulturhistorische Betrachtung der Antiken, die als Ausgrabungsfunde nicht nur etwas über die Kunstfertigkeiten des Altertums, sondern auch über das Leben des antiken Menschen erzählen. I

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