104 Dritter Weltkrieg in fiktivem Gewand Der Atompilz ist das Signum des Kalten Krieges. Es gibt noch andere: präsenter die Berliner Mauer etwa, metaphorischer der »Eiserne Vorhang«, geheimnisvoller das »Rote Telefon«. Mit der Atom- und der Wasserstoffbombe allerdings strukturierte realpolitisch wie nie zuvor eine Waffe die Optionen der großen Mächte – auch wenn deren Einsatz in der Rückschau nach Hiroshima und Nagasaki stets nur imaginiert war und nie mehr Wirklichkeit geworden ist. Angesichts ihres Vernichtungspotenzials geht es im strategischen Denken über »die Bombe« nämlich nicht um die »tatsächliche Herbeiführung« der atomaren Apokalypse: Es genügt allein deren »suspendierte Möglichkeit«.1 Die Existenz nuklearer Arsenale und die daraus resultierende Drohung gegen die Menschheit prägte die zeitgenössischen Mentalitäten nach 1945. Der nicht nur von Militärs und Wissenschaftlern, sondern auch in der Populärkultur simulierte Krieg hat ganze Gesellschaften in eine Art Geiselhaft genommen.2 Das atomare Paradigma der internationalen Ordnung stand im Hinter- und phasenweise, wie in der Kuba-Krise 1962, im Vordergrund des Kalten Krieges. Es prägte deshalb unvermeidlich auch die Aneignung, Bearbeitung und Darstellung eines Dritten Weltkriegs in Film, Fernsehen, Theater, Rundfunk, Literatur, Comic und Graphic Novel, Brett- und Computerspiel, Schlager- und Popmusik. Der Dritte Weltkrieg war in diesen Repräsentationen nicht zwangsläufig nukleares Armageddon, er konnte auch konventionell (auf- und vor-)geführt werden. Doch mussten sich diese gedachten Szenarien in irgendeiner Form zu Atomwaffen verhalten. Eine fehlende Aussage über deren Gebrauch oder Nichtgebrauch hätte den Charakter »der Bombe« als zwingendes Paradigma des Kalten Krieges in einer Weise ignoriert, die die Fiktion im Kern gegenstandslos gemacht hätte. Gäbe es angesichts der möglichen Nutzung von Nuklearwaffen überhaupt noch so etwas wie einen echten Gewinner in einem drohenden Krieg? Das war keine Frage nur für Politiker, Diplomaten und Soldaten als »Profis« der nuklearen Strategie. Die kulturelle Rezeption zeigt, wie eine sensibilisierte Öffentlichkeit das Wissen und das Denken über die »absolute« Waffe mitgeprägt hat. Aus der Möglichkeit der atomaren Vernichtung in einem kommenden Weltkrieg resultierten zudem weiterführende Fragen: über das »bessere« Gesellschaftssystem etwa und um persönliche Verantwortung im Ost-West-Konflikt.3 Kalter Krieg: atomares Signum – atomares Paradigma Kultur des Kalten Krieges: Literatur und Atomkrieg
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