105 Während Spiel- und Dokumentarfilme mit ihren Möglichkeiten der Visualisierung die Handlung in knapper Laufzeit melodramatisch zuspitzen oder auf den Schauwert technischer Spezialeffekte setzen, bleibt es Vorteil von Literatur über den nächsten großen Krieg, Handlungsabläufe mehr in die Tiefe und in die Breite entwickeln zu können. In der einschlägigen Belletristik finden sich in verstärktem Maße in den 1950er- und frühen 1960erJahren sowie dann wieder in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts Darstellungen über die Folgen eines Dritten Weltkriegs. Allein zwischen 1980 und 1990 sind fast 250 thematisch relevante Romane und Erzählungen in englischer Sprache erschienen.4 Es sind verschiedene literarische Genres, die aus der Gegenwart auf diese (manchmal ganz weit entfernte, oft aber recht nahe) Zukunft blicken. In Science-Fiction geht es in der Regel nicht um den Krieg selbst, sondern um die Fortexistenz der Menschheit danach. In solchen postdoomsday novels oder survivalist fantasies werden letzten Endes die Natur des Menschen und die Grundlagen seines Zusammenlebens verhandelt. Der politische Thriller hingegen dreht sich um die Verhinderung des Kriegsausbruchs; er spielt nicht nach der vollendeten, sondern vor der verhinderten Katastrophe. Im Technothriller wiederum stehen die Art und Weise der Kriegführung, die technischen Voraussetzungen und Mittel militärischen Handelns, der Effekt des Staunens über das technologisch (vermeintlich oder vermutlich) Mögliche im Mittelpunkt. Vorbildcharakter kann Tom Clancys Roman Red Storm Rising von 1986 (deutsch: Im Sturm, München 1994) zugesprochen werden, in dem der Krieg die nukleare Schwelle allerdings nicht überschreitet. Romane, die einen anderen Ansatz wählen, vor allem jene, die das hoffnungslose Schicksal der Überlebenden eines atomar ausgefochtenen Konflikts erzählen, sind demgegenüber Melodram oder Aufklärungs- und Mahnliteratur. Als Beispiel für letztere Gattung erzielte auf dem westdeutschen Büchermarkt Gudrun Pausewangs Die letzten Kinder von Schewenborn. Oder ... sieht so unsere Zukunft aus? Erzählung (Ravensburg 1983) großen Erfolg. In den 1980er-Jahren entwickelte sich zudem eine besondere Sparte solcher Literatur: Erzählungen, in denen Offiziere aus NATO-Staaten über einen Dritten Weltkrieg schrieben. Ein gutes Dutzend solcher Romane wurde publiziert. Bei einigen handelt es sich um Analysen auf strategischer, operativer oder taktischer Ebene, die bemüht konstruiert in einen nichtfaktischen Plot eingefügt sind; bei anderen um kolportagehafte, reißerische Erzählungen mit einer hier und da recht demonstrativ untergebrachten politischen Botschaft. Hinter bloßer Kriegsschilderung stand in den Texten die Sorge um die Glaubhaftigkeit der NATO-Strategie und um die Resilienz der eigenen Gesellschaft, kurz: um die Standfestigkeit »des Westens«. Wissenschaftlich gehaltene Publikationen aus der Welt der Universitäten, Think Tanks und Parteizentralen oder militärische Strategiedokumente verlangten (zu) hohe Voraussetzungen, um größere Adressatenkreise zu erreichen. Über Romane schien das sperrige Thema Sicherheitspolitik breiten
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