40 Hiroshimas langer Schatten Zu erzählen ist die Geschichte einer unerquicklichen Liaison. Von einer Technologie im Dienst der Politik und von einer Politik, die sich zur Magd der Technologie macht. Wann diese Geschichte begann, ist strittig. Vielleicht 1938, als Lise Meitner und Otto Hahn die Spaltbarkeit von Uranatomen nachwiesen, möglicherweise kurz darauf und angesichts der Erkenntnis, dass die im Zuge einer Kernspaltung freigesetzte Energie für neuartige Waffen von beispielloser Zerstörungskraft geeignet war. Gab Albert Einstein im August 1939 den Anstoß? Mit einem Brief an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, in dem er darauf hinwies, dass deutsche Physiker ihre einschlägigen Forschungen vorantrieben, das Hitlerregime in Kürze eine Superbombe besitzen könnte und die USA alles daransetzen sollten, diesen Wettlauf zu gewinnen? Unstrittig ist nur, wann der »point of no return«, der Kipppunkt einer unumkehrbaren Entwicklung, erreicht war. Am 16. Juli 1945 nämlich. An diesem Tag wurde in der Wüste von New Mexico die erste Atombombe erfolgreich getestet. Vom »größten Ereignis in der Geschichte der Menschheit« sprach Roosevelts Nachfolger Harry S. Truman,1 eine Einschätzung, die Robert Oppenheimer, wissenschaftlicher Leiter des bis dahin weltweit größten Forschungsprojekts, brüsk zurückwies. »Herr Präsident, ich glaube, ich habe Blut an meinen Händen.«2 Der Beginn des Nuklearzeitalters markiert zugleich eine politische Zeitenwende. Im engsten Beraterkreis des Präsidenten war von einer »winning weapon« die Rede, einer Art Zauberwaffe. Oder von einem »royal straight flush«, dem militärischen Äquivalent zum unschlagbaren Blatt beim Poker, das plötzlich neue Perspektiven eröffnet. Mit diesem Druck- und Drohmittel in der Hinterhand, so die Fantasie, könnte man nicht nur sowjetische Begehrlichkeiten in der Mandschurei, im Pazifik, gegenüber dem Iran und Osteuropa zügeln, sondern langfristig die eigenen Vorstellungen von einer tragfähigen Nachkriegsordnung durchsetzen. Die Sowjets müssten notgedrungen klein beigeben, zumal sie auf absehbare Zeit wohl kaum über die Mittel zum Aufbau eines ähnlich angsteinflößenden Arsenals verfügen würden. Dass im Februar 1943 auch in der UdSSR ein »Uranprojekt« auf den Weg gebracht worden war und Geheimdienstchef Lawrenti Berija auf Weisung Stalins seit dem Sommer 1945 aufs Tempo drückte, wusste im Westen niemand.3 Ein ungebremster Rüstungswettlauf nahm Fahrt auf – und seither vergiftet Misstrauen die Beziehungen zwischen Moskau und Washington. Atomwaffen in allen Größen, Variationen und Stückzahlen, platziert auf Lafetten, Flugzeugen und Raketen wurden somit zum Brandbeschleuniger Zeitenwende
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