Leseprobe

35 Abb. 7 Unbekannter Bildhauer: Teilkopie eines polykletischen Athleten, mit zusätzlicher Haarbinde Marmor, 2. Jh. n. Chr. Dresden, Skulpturensammlung, Inv. Hm 96 linke Oberarm enger am Körper an als der rechte. Die mit einer der vatikanischen Repliken63 übereinstimmende Position des Ansatzes für einen Steg zum rechten Handgelenk spricht außerdem dafür, dass auch die Haltung des rechten Unterarms nicht von derjenigen des Vorbilds abwich.64 Gegenüber dem hochklassischen Vorbild hat der in hadrianischer Zeit tätige Bildhauer des Dionysos einige Veränderungen vorgenommen; er hat ein Fell hinzugefügt, auf die Wiedergabe des Schamhaars verzichtet und den Gott mit einem Attribut ausgestattet, das sich von demjenigen des Diskusträgers unterschieden haben muss. Besonders raffiniert ist seine Veränderung der Körperbildung. Wie es für Darstellungen des Dionysos seit dem 4. Jh. v. Chr. üblich ist, erscheint der Körper des Gottes als deutlich ›weicher‹ als derjenige des polykletischen Athleten. Völlig neu konzipiert hat der Bildhauer des Dionysos außerdem die Frisur, da für eine Darstellung dieses Gottes die Kurzhaarfrisur, durch die sich alle männlichen Statuen Polyklets auszeichnen, durchaus ungeeignet war. Die Dresdner Sammlung verfügt zusätzlich zum Abguss des Dionysos noch über eine weitere Umdeutung des polykletischen Athleten, und zwar in Form einer Herme aus Marmor, die eine wulstförmige Binde im Haar trägt (Abb. 7).65 Es ist ungewiss, ob es die Wulstbinde in der Antike erlaubte, im Dargestellten eine bestimmte mythologische Figur, etwa Herakles, zu erkennen. Wahrscheinlich sollte die Binde nur einen allgemeinen Hinweis darauf geben, dass mit dem Kopf kein Sterblicher gemeint ist. Anders als es bei vollständigen Kopien der Fall ist, haben die Bildhauer von Teilkopien gelegentlich die Kopfhaltung des Vorbilds verändert. Beim Kopf der Dresdner Herme kommt dies darin zum Ausdruck, dass er im Unterschied zum Vorbild gerade nach vorn weist. Weitere Abweichungen vom Vorbild, die punktförmigen Eintiefungen der Pupillen und der Karunkeln, sind spät- oder nachantiken Ursprungs; sie verleihen dem Gesichtsausdruck eine eigentümliche Lebendigkeit.

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