Leseprobe

84 Stirn in mehreren ›Zangen‹- bzw. ›Gabel‹-Motiven aus (Abb. 2). Der Vergleich mit den Kopfrepliken des polykletischen Hermes (Kat. 5) gibt zu erkennen, dass die Frisur des Dresdner Knaben vor den Ohren nicht mehr ganz so systematisch konzipiert worden ist wie diejenige des etliche Jahre früher entstandenen Gottes. Beim Dresdner Knaben, der aus den 420er-Jahren stammen dürfte, macht sich bereits der sog. Reiche Stil bemerkbar, der vor allem für Werke charakteristisch ist, die attische Bildhauer im letzten Drittel des 5. Jh. v. Chr. geschaffen haben. Im Unterschied zur Mehrzahl seiner Schöpfungen hat sich Polyklet beim Dresdner Knaben für eine Kopfwendung zur Spielbeinseite hin entschieden, die vermutlich durch das in der linken Hand gehaltene Attribut motiviert war. Das namengebende Stück des statuarischen Typus weist als Besonderheit zwei ›Kopierpunkte‹ auf (Abb. 4), die sich an einer schlecht einzusehenden Stelle, am Hinterkopf, befinden. Dem in augusteischer Zeit tätigen Bildhauer haben sie dazu gedient, die Charakteristika des Abgusses mit möglichst großer Genauigkeit auf den von ihm zu bearbeitenden Block pentelischen Marmors zu übertragen. Andere Abweichungen, die der Dresdner Knabe gegenüber dem aus den Kopien erschlossenen Bronzeoriginal aufweist, sind dem Material geschuldet. Um sicher stehen zu können, ist die Figur ebenso wie nahezu alle anderen bekannten antiken Kopien zusammen mit der Plinthe aus einem Stück gearbeitet, und um dem Stein zusätzliche Stabilität zu verleihen, befinden sich neben dem Standbein ein inhaltlich sinnloser Baumstumpf sowie zwischen den Unterschenkeln eine Strebe. Mit Streben waren ursprünglich auch die Arme gesichert. Erhalten hat sich jedoch nur der Ansatz der Strebe, die zum rechten Handgelenk führte; die Bruchstelle, an welcher der Steg zum linken Handgelenk seinen Ausgang nahm, ist nach der Auffindung der Statue so gründlich geglättet worden, dass sie sich auch im Streiflicht nicht mehr genau lokalisieren lässt.195 Abb. 5 Unbekannter Bildhauer: Kopie eines polykletischen Athleten Marmor, um Christi Geburt Dresden, Skulpturensammlung, Inv. Hm 88 (hier im Stich aus Leplats Recueil, 1733, Taf. 40)  Abb. 6 Johann Friedrich Wacker: Inventarium über sämtliche im großen Garten befindliche antique und moderne Statuën, Groupen, Busten, Köpfe u. u., Dresden 1765, Bl. 19r Dresden, Archiv der Skulpturensammlung

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