Leseprobe

nen Gebiet unseres Landes — dem Dreiländereck Polen, Deutschland und Tschechien — einen Raum zu schaffen, in dem erfahrbar wird, dass eine kollektiv erlebte Krise viele individuelle Schicksale auf ganz verschiedene Weise trifft. Vielleicht müssen wir zunächst verinnerlichen, dass es nicht die eine kollektive Erfahrung gibt, und dass in einer komplexen Welt, in der verschiedene Systeme und Lebenswirklichkeiten parallel und gleichzeitig miteinander verschränkt existieren, in der Praxis unterschiedliche Interessen und Werte gegeneinanderstehen. Dass wir in einer hochkomplexen Gesellschaft die Dissonanzen zwischen den eigenen und den Interessenlagen anderer aushalten können, ist ein hehres Ziel. 2 Glauben wir an eine Verständigung trotz der eigenen Überforderung? Dass wir als Menschen als Teil einer Gesellschaft jeweils in der Verantwortung stehen, innerhalb unserer eigenenWirkungskreise füreinander da zu sein, dem Gegenüber zuzuhören und die Freiheit der Andersdenkenden verteidigen müssen, ist eine Aufgabe und ein Privileg. Zugleich vergegenwärtigt dies das Dilemma, dass das Leben in einer Demokratie eine besondere Herausforderung ist. Gelingt es uns allen, Widersprüche aufmerksam zur Kenntnis zu nehmen, diese zu ertragen und außerdem neue Erkenntnisse in Betracht zu ziehen, unsere Gedanken vielleicht zu revidieren und immer wieder Perspektivwechsel vorzunehmen, um eigene Urteile zu hinterfragen? Oder entsteht in uns ein Gefühl der Resignation oder der Frustration, ob der vielen Meinungen und individuellen Wahrheiten zu Fragen von Gerechtigkeit und einer angemessenen Beurteilung unserer Wirklichkeit? Spätestens seit John Rawls 3 wissen wir, dass es in aufgeklärten und pluralistischen Gesellschaften immer zu Meinungsverschiedenheiten kommen wird. Wie also können Gerechtigkeit, Toleranz und Fairness aussehen, wenn wir keine echten, offenen Gespräche mit Interesse am Gegenüber zulassen? Wenn wir selbst offen dafür sind, uns am Gegenüber zu reiben und gegebenenfalls auch das Recht und die Freiheit wahrnehmen, eigene Positionen zu überdenken und situationsbezogen unsere Meinungen zu revidieren, kann dies vielRoman Weinig Hold the line (Detail) Nicht auflegen, bitte • Nezavěšujte, prosím • Nie rozłączaj się, proszę ↓ 18

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