Leseprobe

DE • Vom Frühjahr 2020 an haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das weithin unter der Bezeichnung »Pandemie«, »COVID-19« oder »neuartiges Ereignis« bekannt ist. Angst und Vertrauensverlust kulminieren in diesem Phänomen. Leidenschaftliche Meinungsverschiedenheiten und Glaubensgewissheiten entzünden sich an diesem Thema. Risse gehen durch alle Gruppierungen und soziale Einheiten der Gesellschaft, ja mitten durch Familien. Das historische Spezifikum in den neuen Bundesländern Deutschlands darf nicht vergessen werden: 1989/90 ereignete sich für die ganze Gesellschaft ein radikaler Umbruch, der auch heute noch tief in den Knochen, Köpfen und Gefühlen sitzt. Zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts wurde den Menschen gesagt, dass ihr bisheriges System falsch war — und deutlich weniger wert sei als das neue. Das Vertrauen der Ostdeutschen in ihre Regierung war bei der Wende am Boden und dieses Vertrauen scheint sich auch bis heute nicht besonders gut erholt zu haben. Aber bei Weitem nicht nur im Osten ist dieses Misstrauen da, auch wenn hier die Nachwirkung eines kollektiven Traumas — ein Identitätsverlust und ein Déjà-vu — noch frischer ist als im Westen, wo mit den politischen Schritten und der Diktion zum Pandemie-Phänomen eher nur die Beschränkung der demokratischen Rechte an sich befürchtet wird, ohne dieses »kennen wir doch«. In Ost wie West glauben viele, dass »die Mächtigen« hinter unserem Rücken ein abgekartetes Spiel mit uns spielen und eine Agenda verfolgen, von der sie uns nichts sagen. Was Impfgegner und Impfbefürworter aber verbindet, ist: die Angst. Der Verlauf der Pandemie und der diese Pandemie betreffenden Verständigungsprozesse (oder Missverständnisse) scheidet die Geister in zwei, drei oder mehr große Gruppen, an denen sich nunmehr eine umfassende gegenseitige Ablehnung festmacht, die unter dem Ausdruck »Spaltung der Gesellschaft« wahrgenommen wird. Die einen haben Angst vor COVID-19. Die anderen haben Angst vor der Impfung und vor einer versteckten Agenda. Dort ist die Angst vor einem »faschistischen« Staat größer als auf Seiten derer, deren Angst vor der Erkrankung oder vor den Folgen der Erkrankung und einer durchdringenden Pandemie größer zu sein scheint als vor den Folgen eines neuen Totalitarismus. Wolfgang Georgsdorf Zentrum für offene Fragen — vom so ist das zum ist das so Centrum pro otevřené otázky — od tak je to k je to tak Centrum pytań otwartych — od tak jest do czy tak jest ↓ 168

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