q 18 Habsburgerreich tion.5 Die bereits erwähnte ethnische Zusammensetzung des Königreichs Ungarn war nicht nur wegen seiner Vielfältigkeit beeindruckend. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die Magyar*innen, die sich stets als hegemoniale Kultur in Transleithanien sahen, bis zur Festsetzung der Trianon-Grenzen im Jahr 1920 nie die Mehrheit im eigenen Land stellten.6 Hier sollte eine forcierte Magyarisierung Abhilfe schaffen. Diese Haltung lässt sich auch eindrücklich an der frühen Geschichte und gesamten Entwicklung der ungarischen Bildpostkarten ablesen. Auf Ungarisch sind drei Bezeichnungen für die Post- und Ansichtskarte geläufig: während levelezőlap, auf alten Postkarten auch Levelező-Lap geschrieben, die klassische Postkarte meint, wird die bebilderte Variante entweder als Képeslap (Ansichtskarte) oder Képes levelezőlap (Bildpostkarte) bezeichnet. Umgangssprachlich findet sich in zeitgenössischen Zeitungsartikeln zudem gelegentlich das Wort anziksz/anzikszok. Heute ist die mit Abstand größte Sammlung an ungarischen Postkarten im Zempléni Múzeum in Szerencs zu finden. Umfangreiche Sammlungen existieren zudem in der Ungarischen Nationalbibliothek sowie im Ethnografischen Museum in Budapest. Verschiedene ungarische Autorinnen und Autoren haben sich, insbesondere seit den 1980er Jahren, intensiv mit der Geschichte der ungarischen Postkarten beschäftigt.7 Dabei galt die Aufmerksamkeit zum einen der Entstehungsgeschichte und zum anderen den Motiven auf der Bildseite, wobei die ethnisch codierten Bildpostkarten oft lediglich zu illustrativen Zwecken und weniger als Forschungsgegenstand verwendet wurden. Eine große Ausnahme sind die Studien von Zsuzsanna Tasnádi zu Trachten und Volksleben auf Postkarten der Monarchie.8 Der vorliegende Beitrag erweitert und vertieft die bisherigen Forschungsarbeiten, indem er die zeitgenössischen wirtschaftsnationalistischen Debatten um die Einführung einer eigenständigen ungarischen Postkartenindustrie detailliert nachzeichnet und genauer untersucht, was als typisch für die Vermarktung der ungarischen Regionen und ihrer Bevölkerungsgruppen galt. Aufgrund der Größe und ethnischen Vielfalt des Königreichs Ungarn muss sich der Beitrag auf eine Auswahl von Regionen und Gruppen beschränken. In Anlehnung an die im ersten Ungarn-Band des Kronprinzenwerks als charakteristisch für das Königreich definierten Gebiete wurden die Puszta als die wohl bekannteste ungarische Kulturlandschaft, die östlichen Waldkarpaten mit ihrer großen ruthenischen und jüdischen Bevölkerung sowie das für Ungarn historisch bedeutsame Siebenbürgen ausgewählt, das auch angesichts seiner intensiven Postkartenproduktion forschungsrelevant auffällt. Das Millenniumsjahr 1896 als Geburtsstunde eines ungarischen Bildprogramms Das Jahr 1896 kann als Gründungsjahr der ungarischen Postkartenproduktion gelten: In diesem Jahr feierte Ungarn im ganzen Land pompös sein 1000-jähriges Bestehen, und es war in direktem Zusammenhang mit diesen Millenniumsfeierlichkeiten, dass erstmals eine 32 Stück umfassende Serie an Ansichtskarten herausgegeben wurde. Hergestellt worden waren die Bildpostkarten von drei renommierten Budapester Druckereien: Posner és Fia, Pesti Könyvnyomda Rt. und Morelli budapesti nyomda in Budapest.9 Dieses erste von ungarischer Seite produzierte Postkartenset war in gewissem Sinne bereits ganz der Thematik »Ethnizität verkaufen« gewidmet. Denn ein Teil der 32 Ansichtskarten galt den in der Landesausstellung in einer Art Freilichtmuseum errichteten Musterhäusern aus den unterschiedlichen Regionen des ungarischen Königreichs und der dort anzutreffenden Lokalbevölkerung in ihren »volkstypischen« Trachten. Zu sehen waren etwa ein typisch rumänisches Haus aus Siebenbürgen, ein typisches Wohnhaus der Schokatzen aus Südungarn oder eine ruthenische Hütte der östlichen Waldkarpaten.10 Theodor Herzl, der sich zur Zeit der Millenniumsfeierlichkeiten in seiner Heimatstadt Budapest aufhielt, schilderte seinen Besuch der Landesausstellung voller Erstaunen in einem Zeitungsartikel mit den Worten: »[G]anz Ungarn wird den Sommer lang durch diese eigenthümliche Dorfstraße ziehen, die aus vielen verschiedenen Bauernhäusern zusammengesetzt ist. [...] Und das Merkwürdigste ist, daß es Niemandem einfällt, das für eine Mummerei zu halten. [...] Die Nation ist wie das ideale Dorf der Ausstellung, das aus den vornehmsten Häusern unzähliger Ortschaften gebildet ist. Die Häuschen stehen über das Land verstreut, jedes ist vermuthlich vom Alltag beschmutzt, es gibt darin Lärm und Jammer. Hier sind sie feierlich vereinigt, und sie sind rein.«11
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