Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn 19 q Und auch der zeitgenössische ungarische Schriftsteller Lajos Havany bemerkte zur Millenniumsausstellung kritisch: »Im Jahr 1896 ist das Reich tausend Jahre alt. Das Millennium wird mit einer Ausstellung gefeiert. [...] Tafeln, deren statistisch-anschauliches Zickzack über die Nationalitäten, über die Sterblichkeitsziffern, über Schulen und Spitäler spricht, und was derlei Wunder noch mehr sind. Der herrlichste Rausch der Selbstlüge wird aus selbstvorgetäuschten Pokalen getrunken und dazu werden Liebe und Brüderlichkeit beteuernde Reden geschwungen.«12 Die in der Millenniumsausstellung zelebrierte Diversität und brüderliche Einigkeit des Königreichs konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesellschaftliche und politische Elite des Landes damals weniger die ethnisch-kulturelle Vielfalt als vielmehr das Ungarische und die Früchte ihrer vermeintlich erfolgreichen Magyarisierungspolitik feierte.13 In diesem Zusammenhang spielte gerade die Stadt Budapest eine zentrale Rolle. Sie war nicht nur Zentrum der Feierlichkeiten und Ort der Landesausstellung, sondern die Stadt selbst sollte in ihrer Größe und Pracht als Schaufenster Ungarns zelebriert werden. Man konnte mit Recht auf eine beeindruckend rasante Stadtentwicklung zurückblicken. Erst 1873 waren die drei separaten Teilstädte Pest, Buda und Óbuda zur Stadt Budapest vereinigt worden. Und erst 1892 konnte sich Budapest auch offiziell mit dem Titel »Haupt- und Residenzstadt« schmücken. Die junge Metropole sollte nicht nur Hauptstadt Ungarns, sondern vor allem ungarische Hauptstadt sein. Seit den 1830er Jahren waren viele nationale Prunkbauten auf der Pester Seite errichtet worden, die den neuen ungarischen Charakter der Stadt zum Ausdruck bringen sollten.14 Diese regen Bautätigkeiten machten Budapest um 1900 zur am schnellsten wachsenden Metropole Europas.15 Über das Medium der Bildpostkarte wurden die neuen Sehenswürdigkeiten als nationale Symbole der ungarischen Reichshälfte tausendfach verbreitet. Auch Besucher*innen der Millenniumsausstellung fiel damals das ungarischnationale Sendungsbewusstsein der jungen Hauptstadt auf, die unverblümt auch mal als »Sitz des überspannten Magyarismus«16 bezeichnet wurde. Obschon man 1896 mit der im Budapester Freilichtdorf präsentierten ethnischen Vielfalt versuchte, den Völkerfrieden in der ungarischen Reichshälfte zu beteuern, wurden die in Ungarn lebenden Nationalitäten bei der Konzeption der Millenniumsausstellung weitestgehend übergangen. Die glanzvollen Feierlichkeiten dienten in erster Linie der eigenen Selbstvergewisserung, aber ebenso der »Vertuschung der Probleme«.17 Diese Vermutung hatten auch die Vertreter*innen der betroffenen Nationalitäten auf ihrem ein Jahr zuvor, 1895, in Budapest abgehaltenen Nationalitätenkongress. Kurz vor der pompösen Eröffnung der Millenniumsausstellung verfasste eine Exekutivkommission des Kongresses am 30. April 1896 ein Protestschreiben, das dem großen Unmut in überaus deutlichen Worten Luft machte. Darin hieß es: »Europa muß gezeigt werden, daß sich die nichtungarischen Nationen Ungarns mit den Ungarn dermaßen assimiliert haben, daß sie ihre Unterjochung vor 1 000 Jahren als ein Fest der Freude begehen. Europa muß gezeigt werden, daß [...] überall Wohlstand und Reichtum vorherrschen, obzwar in Wirklichkeit gerade das Gegenteil zutrifft.«18 Aus der publizierten Liste der Beteiligten ist ersichtlich, dass an der Landesausstellung von allen in Ungarn lebenden Ethnien – gewollt oder ungewollt – nur die Vertreter*innen Bosniens und Herzegowinas teilnahmen. Beide Gruppen wollten jedoch explizit nicht im ungarischen Teil der historischen Ausstellung erwähnt werden, sondern entschieden sich, stattdessen ihren eigenen Ausstellungspavillon zu errichten.19 Auch die jüdische Bevölkerung, die im gesamten Königreich Ungarn rund fünf Prozent und in Budapest immerhin 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte – womit die ungarische Hauptstadt nach Warschau die zweitgrößte jüdische Gemeinde Europas besaß –, war bei den Millenniumsfeierlichkeiten und der historischen Ausstellung untervertreten. Ursprünglich hätten an der großen »Huldigungskundgebung« auch die zahlreichen erfolgreichen jüdischen Unternehmer beim Festzug der Vertreter des Bürgertums dabei sein sollen, aber dieser fiel kurzfristig mangels finanzieller Unterstützung aus. Somit war nur der ungarische Adel mit einem Festzug vertreten. Den jüdischen Unternehmern blieb lediglich die Beteiligung an den einzelnen Ausstellungspavillons im Stadtwäldchen übrig.20 Vertreter dieses bislang weitgehend visuell unsichtbaren jüdischen Großbürgertums ließen sich im Rahmen der Millenniumsfeierlichkeiten dennoch unbeirrt als Zeichen ihrer Assimilierung und Magyarisierung erstmals gehäuft in der ungarischen Magnatentracht (Díszmagyar) ablichten, um damit ihre Zugehörigkeit zur Elite Ungarns zu demonstrieren.21
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