q 20 Habsburgerreich Mit der Millenniumsausstellung und den ersten publizierten ungarischen Bildpostkarten zur ethnischen Vielfalt des Königreichs wurden die bereits seit 1848 schwelenden ethnischen Konflikte vollständig ausgeblendet. Schon damals hatten die Nationalitäten die Anerkennung einer kulturellen Autonomie sowie das Recht auf die Verwendung der eigenen Muttersprache gefordert. Die politische Gesamtkonstellation der Länder der Stephanskrone stellten sie hingegen 1848 noch nicht infrage. Ungeachtet dessen standen für die ungarischen Revolutionäre die Betonung der magyarischen Interessen und das Ziel, Ungarn innerhalb der Monarchie eine führende Position zu sichern, im Vordergrund, weshalb die Belange der anderen Nationalitäten kaum Gehör fanden. Mit dem österreichisch- ungarischen Ausgleich von 1867 wurde in der Habsburgermonarchie schließlich eine klare Hierarchie der Nationen geschaffen: »An erster Stelle standen die beiden herrschenden Nationen, nämlich die Deutsch-Österreicher und die Magyaren. An zweiter Stelle folgten die Nationen, die eine begrenzte Autonomie aufwiesen oder über einen stärkeren wirtschaftlichen beziehungsweise kulturellen Einfluß verfügten; hierzu zählten die Kroaten, die Polen und die Tschechen. An dritter Stelle schließlich standen die anderen Nationen wie die Rumänen, Slowaken, Ruthenen etc.«22 Diese Hierarchie der Nationen fand ihren ersten juristischen Niederschlag im ungarischen Nationalitätengesetz von 1868, das Ungarisch zur Staatssprache erhob und den anderen Nationalitäten »die Anerkennung als gleichberechtigte Nationen sowie korporative Rechte« versagte und sie stattdessen »als Mitglieder der unteilbaren, einheitlichen ungarischen Nation« verstand. Die Verfasser des Nationalitätengesetzes gingen davon aus, dass sich die Nationalitäten »auf Grund der höheren Bildungs- und Kulturstufe des Magyarentums« irgendwann »freiwillig assimilieren würden«.23 Ein kritischer Zeitungsschreiber bezeichnete dieses magyarische Suprematiestreben 1896 als blanken »Chauvinismus«, der »die Nationalitäten an sein Herz drückt, bis ihnen der Atem ausgeht«.24 Das Ignorieren der schwelenden Konflikte sollte sich für Ungarn und für die gesamte Doppelmonarchie noch als fatal herausstellen. Vorerst wurde jedoch das friedliche, bunte, sogenannte Völkergemisch auf dem neuen Medium der Bildpostkarte rege kommerzialisiert.25 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es vorrangiges Ziel der Millenniumsfeierlichkeiten von 1896 und des damaligen Bildprogramms war, (a) die Größe und Vielfalt des multiethnischen Königreichs Ungarn visuell zu dokumentieren und dabei (b) das Magyarische als unmissverständliche Titularnation zu bestätigen sowie die flächendeckende Magyarisierung des Landes zu rechtfertigen. Die visuelle Rundschau des Imperiums hatte neben dem kommerziellen Nutzen auch eine edukative und eine kohäsive Funktion im polyethnischen Königreich Ungarn. Die edukative Funktion der Bildpostkarten wurde spätestens 1899 vom ungarischen Bildungsministerium selbst öffentlich betont. So zitierte die Zeitung Kárpáti Lapok den zuständigen Minister wie folgt: »Bildpostkarten sind nicht nur lustig, sondern auch ein Mittel der öffentlichen Bildung und Wissensverbreitung, und sie leisten einen guten Dienst in den Schulen, so Gyula Wlassics, Minister für öffentliche Bildung.«26 Die Postkarten sollten das harmonische und friedliche Nebeneinander der vielfältigen Ethnien des Königreichs zeigen. Das sterile Idyll, das im Freilichtdorf und später gerade in den Fotoateliers mit arbiträren Requisiten konstruiert wurde, blendete Armut, Schmutz und Alltagssorgen sui generis aus. Protektionismus und Wirtschaftsnationalismus Auch wenn die Millenniumsfeier von 1896 als Geburtsstunde einer eigenständigen ungarischen Postkartenindustrie bezeichnet werden kann, kam die ungarische Postkartenproduktion anfangs nur schwerfällig in die Gänge. Der ungarische Markt war bis 1896 fast ausschließlich von deutschen und österreichischen Verlegern beliefert worden und daran änderte sich auch so schnell nicht viel. Doch die Schwemme an Postkarten aus dem deutschsprachigen Raum sorgte zunehmend für Unmut. Ein Blick in die damalige ungarische Tagespresse fördert eine langanhaltende Debatte hierzu zutage. So schrieb im August 1898 das vielgelesene Budapester Abendblatt Vasárnapi Ujság: »Zu den neuesten Moden gehören Ansichtskarten, insbesondere solche mit Landschaften [...]. Ungarn wurde durch den Handel mit deutschen Landschaftspostkarten regelrecht überschwemmt.«27 Nicht nur der deutsche Ursprung der Postkarten stieß auf Kritik, sondern gleichermaßen auch die deutschsprachigen Aufschriften. So kommentierte
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