Leseprobe

Visualisierung und Vermarktung des Königreichs Ungarn 21 q die Budapester Zeitung Pesti Napló eine neue Serie von Ansichtskarten über Budapests Sehenswürdigkeiten: »Wir konnten einfach nicht verstehen, warum der Text, der die Ansicht erklärt, zweisprachig ist, also warum der deutschsprachigen Text neben dem ungarischen Text steht. Schließlich ist Budapest keine ungarisch-deutsche Stadt. Wenn der Text für einen Ausländer, der kein Ungarisch spricht, informativ sein soll, wäre die französische Sprache dafür viel besser geeignet.«28 Tatsächlich lässt sich in der darauffolgenden Zeit ein Rückgang der deutschen Bildunterschriften in Ungarn beobachten.29 In Einklang mit der forschen Magyarisierungspolitik des Königreichs scheinen es ungarische Postkartenproduzenten insgesamt darauf angelegt zu haben, die anderen Sprachen Transleithaniens »in die Unsichtbarkeit abzudrängen«, um eine »Homogenisierung zugunsten des Ungarischen« zu erreichen.30 Doch die einheimische Postkartenproduktion blieb ein Sorgenkind. Ganze drei Jahre später konnte man über die ungarische Postkartenindustrie nach wie vor lesen: »Die Entwicklung der ungarischen Bildpostkarten ist weit entfernt von der ähnlicher Produkte im Ausland, die mit ihrem Massenzustrom bereits den ungarischen Markt überschwemmt und unsere heimische Ansichtskartenindustrie fast zum Erliegen gebracht haben.«31 Die anhaltende Kritik blieb nicht ungehört; ein Jahr später sollte sich mit einem ungarischen Pionier der Postkartenproduktion eine Wende abzeichnen. So schrieb die führende Zeitschrift zur heimischen Industrie Honi Ipar im Jahr 1902: »Auf dem Gebiet [der Postkartenproduktion, Anm. J. R.] sind ausländische Unternehmen, insbesondere aus Deutschland, sehr konkurrenzfähig, zu Lasten unserer heimischen Industrie. Ihre Agenten überschwemmen das Land mit ihren Produkten, obwohl wir bereits Institute auf diesem Gebiet haben, die nicht nur zu ähnlichen Preisen produzieren können, sondern auch in Sachen Perfektion. Wir freuen uns, unseren Lesern eine solche ungarische Kunstanstalt vorzustellen: Károly Divalds Kunstanstalt für Lichtbild und Graphik [Divald Károly fényképező és grafikai műintézete].«32 Károly Divald sen. (1830–1897) war ein Pionier der ungarischen Fotografie gewesen. Schon 1863 hatte er ein kleines Atelier in Eperjes (heute slowak. Prešov) eröffnet. 1878 gründete er die erste ungarische Kunstanstalt für Fotodruck, mit seinen Söhnen baute er das Familienunternehmen mit einer Zweigstelle in Budapest rasch weiter aus.33 In einem Bericht zum »Pavillon der Vervielfältigenden Künste« der Millenniumsausstellung wurden »Divald und Sohn« als eine der »wenigen hervorragenden Landschaftsphotographen Ungarns« besonders gelobt, die sich insbesondere mit Aufnahmen aus Oberungarn und den Karpaten einen Namen gemacht hatten.34 Divalds erste Bildpostkarten zeigten zuerst jedoch hauptsächlich Ansichten der jungen ungarischen Hauptstadt. Nach einer anfänglichen Doppelsprachigkeit wechselten die Divalds kurz darauf konsequent auf eine ausschließlich ungarische Beschriftung der Ansichtskarten. Eine anti-österreichische Haltung lässt sich bei den Divalds später auch an der Herausgabe von Bildpostkarten zum tabuisierten ungarischen Unabhängigkeitskampf von 1848/49 ablesen. Relativ rasch erweiterten die Divalds ihren Fokus und nahmen neben den urbanen Zentren vor allem auch die ländlichen Gegenden Ungarns und ihre ethnisch gemischte Bevölkerung in den Blick.35 Nach den intensiven Debatten um 1900 nahm die Postkartenproduktion in Ungarn Fahrt auf. Für das Jahr 1899 waren bereits 1 800 Postkarten aus Budapest und 2 500 aus anderen ländlichen Gebieten dokumentiert.36 Unter den in der Pionierzeit in Budapest tätigen Unternehmen ragen neben Posner und Divald die Kosmos Kunstanstalt (Kosmos Műintézet), später Glóbus, die György Klösz-Kunstanstalt für Fotografie, Kartografie und Lithografie (Klösz György fényképészeti, térképészeti és kőnyomdai intézete) und die Lipót Lengyel Kunstanstalt (Lengyel Lipót műintézete) heraus. Zu dieser Zeit waren deutlich weniger Menschen außerhalb Budapests auf die Postkartenproduktion spezialisiert, dennoch gab es durchaus aktive Protagonisten in kleineren urbanen Zentren. Zu ihnen gehörten etwa Ignác Strompf in Esztergom oder Péter Klökner in Székesfehérvár.37 Letzterer hatte per 1. März 1899 die Zeitschrift Képes LevelezőLap (Bildpostkarte) ins Leben gerufen, die zum Ziel hatte, auch in Ungarn »Sammler einander näher zu bringen, die Austauschbeziehung zu fördern, neu erschienene Postkarten aufzulisten und Sammlern in allem zu helfen«.38 Kurz zuvor hatte sein Bruder József Klökner, Mitinhaber des gemeinsamen Geschäfts in Székesfehérvár, unter dem kernigen Motto »Wir unterstützen die heimische Industrie« den patriotischen Ansichtskarten-Sammelverein Hungária (Hungária Képeslap Gyűjtő-Egyesületet) gegründet.39 Nach Schätzungen sollen allein in den 1890er Jahren zwischen 20 und 25 Millionen Ansichtskarten in Ungarn zirkuliert sein, von denen aber noch immer weit

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