Leseprobe

Regionalismus, Nationalismus, Antisemitismus Visuelle Erzählungen der Kronländer Galizien-Lodomerien und Bukowina Maren Röger Die zisleithanischen Kronländer Galizien-Lodomerien und Bukowina lagen im Osten des Habsburger Imperiums. Dort grenzte der österreichische Teil der Doppelmonarchie an das Russländische Imperium (darin das sogenannte Weichselland, Kongresspolen) sowie an Rumänien im Süden an. Ursprünglich als territoriale Einheit konzipiert und verwaltet, wurde die ungleich kleinere und deutlich spärlicher besiedelte Region Bukowina (Galizien erstreckte sich auf 78 497 km², die Bukowina jedoch nur auf 10 441 km²; 8,1 Mio. Einwohner*innen standen in diesem Vergleich 0,8 Mio. Einwohner*innen gegenüber)1 Mitte des 19. Jahrhunderts in den Status eines eigenen Kronlands erhoben. Beide Regionen teilten zu einem gewissen Ausmaß strukturelle Herausforderungen: Sie galten – stets im Vergleich zu anderen Kronländern Zisleithaniens – als das Armenhaus der Monarchie, denn die wirtschaftlichen Entwicklungen hinkten denen anderer Regionen hinterher. Jedes Jahr wanderten daher zahlreiche Menschen aus Galizien-Lodomerien und der Bukowina aus. Die Alphabetisierungsquoten lagen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in anderen Teilen des Habsburger Imperiums. Bis zum Niedergang der Habsburgermonarchie änderte sich daran wenig. In beiden Kronländern bildete sich dennoch ein ausdifferenziertes Verlags- und Druckwesen, welches sich überwiegend auf einige städtische Zentren konzentrierte und die politischen Öffentlichkeiten der ethnisch und sozial unterschiedlich strukturierten Gesellschaften der beiden Kronländer mit Gedrucktem versorgte. In diesem Aufsatz werde ich vorstellen, welche editorischen Institutionen in Galizien-Lodomerien und in der Bukowina für die über Bildpostkarten transportierten visuellen Erzählungen prägend waren und welches Bildprogramm sie verbreiteten. Der Fokus liegt auf den visuellen Deutungsangeboten der multiethnischen Gesellschaften, die jeweils anders strukturiert waren.2 Editorische Institutionen Bildpostkarten waren um die Jahrhundertwende Massenware, die in Einzelmotiven in hoher Auflage erscheinen konnten, vor allem aber in der Summe die zentralen visuellen Wahrnehmungsquellen der Zeit waren. Zeitgenössisch sammelten zahlreiche Einzelpersonen sie als kostengünstige Aneignung der Welt, was ihren ideellen Wert zeigt.3 Insgesamt jedoch galten sie als Gebrauchswaren und nicht als wertvolle Objekte, sodass die Produktionen der zahlreichen verlegerischen Editionen nur über private Sammlungen und spätere Abgaben an beziehungsweise Ankäufe durch Archive überdauerten. Aufgrund der Geschichte territorialer Verschiebungen und ethnisch induzierter Zwangsmigrationen sind Sammlungen zu den früheren Habsburger Kronländern Galizien und Bukowina heute sowohl in den Archiven der Nachfolgestaaten zu finden (Polen, Ukraine, Rumänien) als auch in den Ländern der Emigration der früheren Bevölkerungsgruppen (Deutschland, Österreich, USA) sowie in thematisch organisierten Museen und Archiven, insbesondere zur jüdischen Geschichte, da beide Kronländer einen entsprechenden signifikanten Bevölkerungsanteil aufwiesen. Erst aus der Sichtung unterschiedlicher Überlieferungen lässt sich ein einigermaßen zuverlässiges, wenngleich nie vollständiges Bild ableiten.4 Für beide Regionen zeigt sich, dass ihre Bildwelten überwiegend aus der Region selbst heraus geprägt wurden. Während die bukowinischen Verleger*innen zu Beginn des Postkartenfiebers, also zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, noch Kooperationen mit Leipzig und Wien pflegten, begrenzte sich später die Zusammenarbeit weitgehend auf Verlagshäuser beziehungsweise Druckereien im imperialen Zentrum Wien und dem benachbarten Galizien. Aus Galizien heraus gab es vor allem Kooperationsbeziehungen nach Warschau. Insgesamt dominierte auch hier die Zusammenarbeit

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