Regionalismus, Nationalismus, Antisemitismus 47 q auf mittlerer Distanz, während kaum Gemeinschaftsproduktionen mit Druckereien im Deutschen Kaiserreich zu finden waren. In beiden Regionen existierten zahlreiche Verlage, wobei manche nur in geringer Auflage produziert haben dürften, weshalb ich abgeleitet von einer Formulierung Timm Starls den Begriff »editorische Institutionen« verfolgen werde.5 Zweischneidig gestaltete sich insgesamt das Postkartengewerbe: Auf der einen Seite florierte das Geschäft, sodass etwa die Bukowinaer Rundschau im Jahr 1900 konstatierte: »Wer dem Postkartenhandel nähersteht, wird bestätigen müssen, dass die illustrierte Postkarte stetig an Umfang zunimmt [. . .].«6 Zum anderen blieben für viele Händler*innen Profite aus. Das Zentralorgan der Ansichtskartenhändler, die Internationale Postkartenzeitung, beobachtete im Jahr 1903, dass gerade Klein- und Einzelhändler*innen oft mit leichtsinnig wenig Betriebskapital in das Gewerbe einstiegen.7 Die Qualitätsunterschiede der Produktionen lassen sich bis heute erkennen, an der Optik und an der Haptik. Trotz der generellen Vielfalt kristallisieren sich sowohl für Galizien-Lodomerien als auch die Bukowina mehrere einflussreiche Postkartenverleger*innen – Frauen waren insgesamt wenige darunter – heraus. Dabei fällt ins Auge, dass bestimmte ethnisch-religiösesprachliche Gruppen unter den Produzent*innen der Bildmedien kaum vertreten waren, während andere große Präsenz in diesem Geschäftszweig hatten, der sich auf visuelle Erzählungen auswirkte. Auf das kleine Kronland Bukowina kamen über 50 Institutionen, die verlegerisch tätig wurden. Von manchen ist nur eine Postkarte dokumentiert, andere waren durchaus prägend für die Bildwelten. Es zeigt sich deutlich, dass der Großteil der Produzent*innen der Selbstbilder mit großem Abstand zur bürgerlichen Schicht und deutschsprachigen Elite des Kronlands gehörten, die sich in jeweiligen deutsch-christlichen und jüdischen Nationalvereinen engagierten, während es kaum ruthenische und wenig rumänische Verlage gab, die Selbstbilder prägten. Da die jüdische Bevölkerung in der Bukowina – wie andernorts auch – im Buchhandel und Verlagswesen stark vertreten war,8 hatten auch viele Postkartenverleger*innen einen jüdischen Hintergrund. Zahlreiche Verleger*innen engagierten sich in der jüdischen Kultusgemeinde oder dem Jüdischen Nationalverein. Jener vertrat den Diaspora-Nationalismus, erhielt aber in der Bukowina zumindest bis 1904 Unterstützung von der zionistischen Bewegung. Im Kern sprach sich der Nationalverein, später verstärkt die jüdische Nationalpartei von Benno Straucher, für eine selbstbewusste Integration der Jüdinnen und Juden in die österreichisch-habsburgische Kultur ein. Von den Czernowitzer Ansichtskartenproduzent*innen gehörten die Herren Josef Horowitz, Moritz Gottlieb, Norbert Gottlieb, Josef Gottlieb, A. Katz und Leon König dem Verein an, was Rückschlüsse auf ihre Stellung zum Habsburger Herrscherhaus zulässt.9 In jüdischen Alternativen, wie dem 1907 gegründeten Jüdisch-politischen Verein, der sich zionistischen und radikaldemokratischen und sozialen Grundsätzen verschrieben hatte, war keiner der erwähnten Verleger engagiert.10 Zum redensartlichen König im regionalen Business entwickelte sich Leon König. Am 3. Januar 1869 wurde er als Lewi König in Czernowitz/Czerniwci/Cernăuţ (heute ukr. Černivci) in die Familie des Gemischtwarenhändlers und Fotoatelierbetreibers Adolf König geboren. König hatte drei Geschwister, wobei die Brüder Max und Adolf mit ihm beruflich verbunden blieben, übernahmen sie doch das Fotoatelier des Vaters. Ihr Atelier hatten die Gebrüder König »unterhalb der Paraskiewakirche im eigenen Hause«, wie ihr Stempel auf den Fotografien lautete.11 Den ersten Geschäftszweig eröffnete Leon König als gerade 18-Jähriger, als 19-Jähriger stieg er in das Postkartengewerbe ein.12 Er begann mit einer Papierhandlung – der klassische Einstieg.13 In der Folge erweiterte er sein Sortiment ständig: Notenbücher, Konzertkarten, Lotterielose und später Angelzubehör kamen hinzu. Doch erst die Zusammenarbeit mit seinen Brüdern brachte den Durchbruch.14 König engagierte sich in der Stadtgesellschaft, ebenso wie bereits sein Vater, der mehreren Vereinen, darunter für den Commis- und Buchhalter-Unterstützungsverein und den Kaiserin-Elisabeth-Verein zur Speisung von Kindern, Schülern und Studenten spendete. Leon König unterstützte von der Mensa Academica, über den kaufmännischen Bethausverein, den Frauen-Hilfsverein, den Blinden- und TaubstummenFürsorgeverein bis zum jüdischen Schülerheim – »also beinahe alle privat getragenen jüdischen sozialen Einrichtungen in der Stadt.«15 Einige andere Verleger engagierten sich deutschnational. So war Romuald Schally – Besitzer einer Czernowitzer Buchhandlung – im Deutschen Schulverein aktiv.16 Emil Kanarski und Eduard von Schiller – weitere Verleger aus der bukowinischen Hauptstadt – engagierten sich im Verein der christlichen Deutschen.17 Schiller hatte ein breites Spektrum an Postkarten im Angebot. Am Bei-
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