Leseprobe

q 50 Habsburgerreich tische Karten ebenso wie offen für die Assimilation agitierende. Entsprechend ist ein deutlicher Unterschied zu der Postkartenproduktion in Warszawa und Łódź auszumachen.40 In der Bukowina jedoch deklarierten die einflussreichen Postkartenverleger*innen mit jüdischem Hintergrund, darunter zentral der wichtigste Produzent Leon König, ihre Loyalität zum Habsburger Herrscherhaus. Insgesamt sind die jüdischen Themen – angesichts der Tatsache, dass die meisten Verleger*innen aus diesem Kontext stammten – am ambivalentesten einzuordnen. Verleger*innen jeden Hintergrunds, auch die jüdischen, produzierten Antisemitika, andere Judaika, beziehungsweise Postkarten, die ich andernorts als »jüdische Erklärbilder« eingeordnet habe. Auf diese ambivalenten Produktionen werde ich im dritten Teil des Aufsatzes gesondert eingehen. Galizien: Landschaftsbilder und Typendarstellungen für die polnische Nation Die polnische Nationalerzählung war auf dem galizischen Postkartenmarkt besonders präsent. Zahlreiche der polnischen und polnisch-jüdischen Postkartenproduzent*innen verlegten Karten, welche die Idee der polnischen Nation auf unterschiedlichen Ebenen visualisierten und durch spezifische Bild-Text-Kombinationen weitertrugen. Die sicherlich wichtigste Gruppe der Karten sind die Reproduktionen nationaler Allegorien. Gerade im Vergleich mit der kleineren Region Bukowina fällt auf, dass die Reproduktion von Gemälden auf Ansichtskarten, die Landschaft – lies Heimat – darstellten, zahlreicher waren. Die Malerei spielte zeitgenössisch eine zentrale Rolle in der Imagination der nicht vorhandenen Nation. Insgesamt fällt für Galizien die enge Zusammenarbeit mit lokalen Kunstszenen ins Auge. Zudem gab es zahlreiche Karten, welche die nationalen Symbole abbildeten, Flaggen zeigten, kombiniert mit Wappen und Schriftzügen wie etwa »Jeszcze Polska nie zginęła«41 (Noch ist Polen nicht verloren) oder »Boże zbaw Polskę« (Gott, erlöse Polen, Abb. 1).42 Beispielhaft für die weiteren intermedialen Verflechtungen ist eine 16-teilige Postkartenserie aus dem Haus Niemojowski, Lemberg, die Szenen aus dem Drama Wesele (Hochzeit) von Stanisław Wyspiańki zeigte.43 Das 1901 uraufgeführte und schnell sehr populär gewordene Werk gilt als eine Art Metareflexion der damaligen Herausforderungen der (Wieder-)Errichtung einer polnischen Staatlichkeit. Zentrale Szenen wurden fotografiert und mit dem entsprechenden Zitat versehen vertrieben.44 Im Vergleich zu den Karten mit Landschaftsgemälden und Nationalallegorien spielten Postkarten, die ethnisch-sprachliche Gruppen vorstellten und unter dem Oberbegriff der polnischen Nation als polskie typy (polnische Typen) versammelten, in den Postkartenfunden zur Region eine weniger prominente Rolle.45 Damit unterschied sich die Postkartenproduktion von anderen Regionen des früheren Polens, vor allem von der Provinz Posen (heute pl. Poznań).46 Jene wenigen überlieferten Karten aus Galizien vereinten üblicherweise Goral*innen und Krakowiter*innen auf den 9 mal 14 Zentimetern. Auf diese Weise wurde eine polnische Nation visualisiert. Abb. 1 Polnische Nationalallegorie – Boże zbaw Polskę [Gott, erlöse Polen]. Lemberg: D. G. Lwów, 1900–1906.

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