Leseprobe

Inszenierung von idyllischer Exotik im Zeitalter der Modernisierung 131 q Wojciech Kujawski, Katarzyna und Janusz Pilecki. Ihnen möchten wir an dieser Stelle unseren herzlichen Dank aussprechen. Ein separates Thema sind die Archivalien der Postkartenverlage. Hier ist die Quellenbasis leider sehr bescheiden, was den Erhaltungszustand der Quellen zur Geschichte dieses Gebietes (insbesondere Ostpreußens) widerspiegelt. Der Postkartenmarkt in Ost- und Westpreußen Ende des 19. Jahrhunderts erschienen in Ost- und Westpreußen im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft neue Medien, darunter auch die Fotografie und die Postkarte. Das zugängliche Quellenmaterial zeigt, dass die frühesten Postkarten erst in den 1890er Jahren veröffentlicht wurden. Der Postkartenmarkt in den beiden Regionen verdankte seinen Aufschwung vor allem dem zunehmenden Tourismus in der Region. Eine weitere wichtige Gruppe von Käufern waren Soldaten aus den örtlichen Militärgarnisonen, die sich zahlreich in den Grenzregionen aufhielten. Sie schickten Postkarten an ihre im Deutschen Kaiserreich verstreuten Familien. Die Verlage arbeiteten auf drei Ebenen. In den meisten Kreisstädten gab es kleine Fotoläden, die Postkarten mit Ansichten der unmittelbaren Umgebung der Stadt herausgaben. In Ostpreußen waren dies zum Beispiel Johannes Fahrun und der Verlag von F. Guttzeit aus Lyck (Ełk), die Photographische Kunstanstalt Vogele und Moritz aus Sensburg (Mrągowo) oder der Verlag Fritz Keller aus Rudczanny (Ruciane, Stadtteil von RucianeNida). Die zweite Stufe bilden größere Verlage, die in den Hauptstädten der Regierungsbezirke tätig waren. Deren Tätigkeitsspektrum umfasste bereits die gesamte Provinz. Beispiele für solche Verlage sind der Verlag W. Lorenz aus Danzig und der Verlag B. Westphal aus Thorn (Toruń) in Westpreußen. In Ostpreußen sind der Verlag von L. Basilius aus Elbing (Elbląg) und die Photographische Anstalt und Verlag von Bruno Perling aus Königsberg (heute russ. Kaliningrad) zu nennen. Auf der dritten Ebene schließlich gab es Verlage mit deutscher oder sogar paneuropäischer Reichweite. Beispiele für solche Verlage sind Stengel & Co., G.m.b.H. aus Dresden und seit den 1890er Jahren einer der weltweit größten Postkartenverlage, Th. Wendisch aus Berlin oder Dr. Trenkler Co. aus Leipzig. Den lokalen Markt dominierte allerdings die erste Gruppe von Verlegern. Abwesenheiten – Deutsche, Polen und Juden Zu Beginn der Betrachtungen zu den Motiven auf Postkarten aus dem Raum Ost- und Westpreußen aus der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sei angemerkt, dass Darstellungen von Ethnien den kleineren Teil der produzierten Motive ausmachen. Im Vordergrund stand eine Modernisierungserzählung, die sich tendenziell homogenisierend auf das Bildprogramm auswirkte. Ende des 19. Jahrhunderts war die Gesellschaft äußerlich einheitlich, und nur bei kleinen religiösen Gruppen konnte man von einer gewissen visuellen Besonderheit sprechen. So trugen die in Ost- und Westpreußen lebenden Menschen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit allgemein verfügbare Massenware der Textilindustrie. Die Verleger*innen markierten die deutschsprachige Bevölkerung nicht visuell. Vielmehr scheint sie in den Darstellungen bürgerlich gekleideter Personen als Norm gesetzt zu sein. Im Vergleich zur Provinz Posen (pl. Poznań) überrascht allerdings, dass auch die polnische Nationalbewegung in den beiden Provinzen kaum Polenbilder produzierte.6 Im Jahr 1900 soll die Provinz Westpreußen laut staatlicher amtlicher Statistik von etwa 554 752 polnischsprachigen und über 1 007 400 deutschsprachigen Personen bewohnt worden sein.7 Zumindest in Westpreußen gab es einen polnischen Landadel, aus dem sich im 19. Jahrhundert die dortige Intelligenz mit stark ausgeprägtem Nationalbewusstsein entwickelte. Neben ihr gab es auch eine große Gruppe reicher polnischer Bauern, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine Stütze der polnischen Nationalbewegung waren. Diese Bewegung in Westpreußen war deutlich stärker ausgeprägt als in der benachbarten Ostprovinz, was einen starken Einfluss auf die Politik der deutschen Verwaltung und viel stärkere lokale nationale Gegensätze hatte. Ein greifbarer Beweis für die Macht der polnischen Nationalbewegung waren die Ergebnisse der Reichstagswahlen von 1893–1912, bei denen polnische Kandidaten 34–40 Prozent aller Stimmen erhielten.8 In den konsultierten Beständen sind zudem keine Judaika und auch keine Antisemitika zu finden. Jüd*innen in Ost- und Westpreußen stellten keine große Bevölkerungsgruppe dar. Im Jahr 1900 betrug ihre Zahl 13 877 Personen in Ostpreußen und 18 226 Personen in Westpreußen.9 Sie lebten hauptsächlich in Städten, wo sie oft die lokale Wirtschaftselite bildeten.10 Die meisten von ihnen assimilierten sich an die politisch, wirt-

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