Leseprobe

Warszawa und Łódź 153 q trowski bedruckte Umschläge und Briefbögen, gab eine Zeitschrift für Schreib- und Papierwaren heraus und verlegte zahlreiche jiddisch-, deutsch- und polnischsprachige Broschüren. Die Herausgabe jiddischsprachiger Zeitungen und Bücher untersagten ihm die russländischen Behörden allerdings mehrmals. Erst 1912 konnte er das Naje Lodzier Morgenblat redigieren, das laut Wiesław Puś zusammen mit anderen jiddischsprachigen Periodika eine wichtige Rolle bei der Herausbildung jüdischer Identitäten in Łódź spielte.22 Seine Interessen vertrat Ostrowski seit 1907 als Mitglied der Stowarzyszenia Właścicieli Drukarń i Litografii w Łodzi (Gesellschaft der Besitzer von Druckereien und Lithografiebetrieben in Łódź). Vergleichsweise spät stieg Ostrowski 1903 ins Postkartengeschäft ein.23 Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs etablierte er sich jedoch als lokaler und sogar regionaler Marktführer. Seine Karten beschriftete er meist auf Polnisch und Deutsch, russischsprachige oder auch französischsprachige Bildunterschriften fehlen im Vergleich zu anderen Produzent*innen in der Regel. Er schien mit seinen Karten also vor allem ein deutsch- und polnischsprachiges Publikum ansprechen zu wollen. Ob er sich so Sympathien in Abgrenzung zur teilweise unbeliebten russischsprachigen Bevölkerung verschaffen wollte, bleibt unklar. Ostrowskis Karten wandten sich überwiegend an mittelständische Käufer*innen. Für ein kleines Postkartenset betrug der Preis im Jahr 1906 75 Kopeken, für ein großes zwei Rubel.24 Zum Vergleich: Mit vier Rubel war ein Halbjahresabonnement der Łódźer Tageszeitung Rozwój gedeckt.25 Ostrowski bediente seine Kundschaft auch über Łódź hinaus. Insbesondere für den Markt in Warszawa gab er Ansichtskarten heraus. Ab 1918 war er dort schließlich auch mit einer Filiale vertreten. In Warszawa war Ostrowski vor allem für eine Kartenserie bekannt, die in Form von Carnets herausgegeben wurde und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt abbildete. Darunter befinden sich neben Ansichten einzelner Stadtteile wie Praga und Straßen wie die ul. Krakowskie Przedmieście auch Silhouetten verschiedener Gotteshäuser: die Synagoge am plac Tłomackie (heute ul. Tłomackie), die orthodoxe Kirche in der Aleje Ujazdowskie oder die Kathedrale am plac Saski (heute plac marsz. Józefa Piłsudskiego).26 Ähnliche Motive finden sich auf den von Ostrowski in Łódź herausgegebenen Postkarten (zum Beispiel der Stary Rynek (Alter Markt) mit der Synagoge im Hintergrund).27 Gerade für Łódź entwickelte der Verleger mit Typy z bruku Łódzkiego (Typen vom Łódźer Pflaster) eine außergewöhnliche Serie, auf die später genauer eingegangen wird. Für beide Städte prägte er urbane Bildwelten, die auf Postkarten zu kaufen waren. Warszawa – Hauptstadt, Königsstadt, Großstadt und die Frage nach ihrer Multiethnizität Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der »Postkartensport«28 in der Hauptstadt Kongresspolens schnell sehr beliebt – Sammler*innen kauften, tauschten Postkarten und Verleger*innen präsentierten ihre Produktion auf Ausstellungen. Die erste Postkartenausstellung in Warszawa fand 1900 statt, und in deren Rahmen wurde ein Wettbewerb veranstaltet, der die polnischsprachige Bezeichnung für die Kärtchen klären sollte.29 Der unter Pseudonym teilnehmende Schriftsteller Henryk Sienkiewicz gewann den Wettbewerb mit dem heute geläufigen Begriff pocztówka.30 Der Postkarte wurde von Anfang an eine wichtige edukative Rolle zugeschrieben: »[...] Sammlungen von Stadtansichten, Bildern großer Persönlichkeiten, Kopien von Gemälden etc. sind bei der Aufklärung der Massen als Hilfsmittel notwendig. Und weil die meisten Postkarten nichts anderes sind als systematisch gesammelte Fotografien, werden sie zu Katalogen der einheimischen und allgemeinen Kunst, ethnografischen Alben usw. [...]«, schrieb 1904 der Herausgeber der ersten polnischen Postkartenzeitschrift Listek.31 Der eingangs erwähnte ethnografische Aspekt spielte nicht nur eine wichtige Rolle, um die regionale und kulturelle Vielfalt des Königreichs Polen in dieser Zeit zu verdeutlichen. Postkarten mit ethnischen Darstellungen waren wichtige Bestandteile der lokalen und regionalen Vermarktung.32 Postkarten spiegelten zum Teil die politische Stimmung und die Beziehungen zwischen den Vertreter*innen der verschiedenen Ethnien in einer bestimmten Region wider, bedienten aber auch das Interesse und die Vorurteile von Reisenden und den zunehmend zahlreichen Tourist*innen.33 Die ethnischpolitischen Akteur*innen in der visuellen Geschichte einer Stadt können dabei sowohl die Gebäude oder entsprechende Aufnahmen bestimmter städtischer Orte als auch die darin abgebildeten Menschen sein.34

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1