Warszawa und Łódź 155 q bestimmten Stadtteilen lebten und als »Typ staromiejskiej dzielnicy« (Typ des Altstadtviertels) bezeichnet wurden – so zum Beispiel Frauen und Männer aus Wilanów in Tracht, ein bärtiger alter Mann in einem zerrissenen Mantel, ein jüdischer Junge oder ein Messerschleifer. Obwohl die ethnische Zugehörigkeit einiger von ihnen – vor allem aufgrund ihrer Kleidung – erkennbar sein mag, sollte sie in der visuellen Erzählung dieser Postkarten keinesfalls eine übergeordnete Rolle spielen. Ziel war es, die Vielfalt der städtischen Gemeinschaft zu zeigen, wobei die Kleidung – je nach Beruf, sozialem Status oder ethnischer Zugehörigkeit – ein besonderes Merkmal darstellte. Jüd*innen als großstädtische Akteur*innen auf den Straßen Warszawas Trotz der allgemeinen Tendenz, vor allem Berufe oder soziale Typen zu zeigen, lassen sich unter den Passant*innen, die auf den Postkarten zu sehen sind, bei näherer Betrachtung einzelne Vertreter*innen ethnischer Gruppen wahrnehmen. Warszawa war um 1900 weltweit die Stadt mit dem größten jüdischen Bevölkerungsanteil. Die auf Postkarten der Verlage von Ostrowski, Karpowicz oder Wilkoszewski dargestellten Jüd*innen erzeugten ein scheinbar zufälliges Bild der Metropole mit ihren multikulturellen Einwohner*innen. Sie sind Elemente des Mosaiks einer Großstadt, die sich durch ihre Trachten (zum Beispiel Khalat und Peies) oder ihren Bart hervorhoben. Gleichwohl blickte das Auge der Fotograf*innen bisweilen durch das Prisma etablierter Stereotype und ikonografischer Vorlagen, das Jüd*innen als eine mit Geld verbundene Gesellschaft zeigte. Die meisten Jüd*innen auf den Postkarten wurden zudem als orthodox dargestellt. Akkulturierte Jüd*innen, die neben ihrem traditionellen Lebensstil auch ihre traditionelle Kleidung aufgegeben hatten, blieben ethnisch anonym, wenn sie auf den Postkarten erschienen. Die 1908 vom Karpowicz-Verlag herausgegebene Postkarte vom plac Bankowy (Abb. 1) vereint zahlreiche Elemente der Erzählung Warszawas zu Beginn des 20. Jahrhunderts.39 Kutschen, Karren mit Waren, eine Straßenbahn, elegant gekleidete Frauen sowie Kindermädchen mit Kindern im Arm verschwinden gegenüber der Polnischen Bank, die die Szenerie dominiert. Auf dieser speziellen Postkarte wird jedoch besondere Aufmerksamkeit auf die drei Personen im Vordergrund Abb. 1 Drei Figuren von Jüd*innen unter der Straßenlaterne in der Nähe der Polnischen Bank – Warszawa. Dawny Bank Polski [Ehemalige polnische Bank]. Warszawa: Wydawnictwo Franciszek Karpowicz, 1908.
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