q 218 Russländisches Reich Typisch dobrudschanische Ansichtskarten? Ganz nach dem zeitgenössischen Usus druckten auch in der Dobrudscha um 1900 zahlreiche Verlage Ansichtskarten mit sogenannten Volksszenen und der Aufschrift »Tipuri din Dobrogea« (Typen aus der Dobrudscha). Viele der dabei zu beobachtenden ethnischen Grundmuster lassen sich mit den Schemata anderer Regionen vergleichen. Hinter der Produktion von Ansichtskarten mit Typen steht in jedem Fall eine Stereotypisierung, ganz gleich, ob es sich dabei um positiv besetzte Autostereotypen des eigenen Kollektivs handelt oder um Heterostereotypen von den »Anderen«. Die Körperhaltung, der Gesichtsausdruck, die Bekleidung und das dargestellte Lebensumfeld dienen dazu, ein emotional aufgeladenes Bild zu konstruieren. Bei der Gewandung spielten Trachten eine entscheidende Rolle, da sie ein wesentliches Distinktionsmerkmal darstellten. Dieser Befund verweist auf die zeitliche Konkordanz von Trachtenerneuerungen in zahlreichen europäischen Regionen zu touristischen, kommerziellen oder regionalistischen/nationalistischen Zwecken. Die Akteur*innen des Fremdenverkehrs und eigene Trachtenvereine verfolgten das Ziel, historische, vielfach bereits aus der Mode gekommene Trachten zu reaktivieren oder zu rekonstruieren; wo historische Trachten nicht eruierbar waren oder bestimmte Kleidungselemente fehlten, wurden sie kurzerhand neu konzipiert, um nach wenigen Jahren bereits als traditionell zu gelten. Tatsächliche und neu entworfene Volkstrachten unterstrichen im Konstruktionsprozess der Heterostereotypen die Zuschreibung bestimmter kollektiver Eigenschaften.17 Auch bei sogenannten Naturvölkern reichte dabei die Bandbreite von den von der modernisierenden Zivilisation vermeintlich unverdorbenen edlen Wilden bis hin zu Herabwürdigung von als primitiv und unzivilisiert dargestellten Menschengruppen.18 Die Rumänisierung der Dobrudscha ab 1878 lässt sich dabei durchaus als eine Art kontinentale Binnenkolonisation darstellen, die eine Angleichung der Lebens- und Kulturverhältnisse in der bisher osmanischen Provinz an die selbstgesetzten Maßstäbe bezweckte, welche die rumänischen Eliten vorgaben.19 In einer multikulturellen Region wie der Dobrudscha ließ sich aus der Sicht der rumänischen Mehrheitsgesellschaft sowie der Zentralmacht in București leicht eine Hierarchie der einzelnen Ethnien entwerfen. In zeitgenössischen Beschreibungen galten etwa die Siedlungen deutschsprachiger Kolonist*innen, die seit den 1840er Jahren in der Region lebten, als »reinlich«, »geordnet« und »sauber«, während etwa den bescheidenen Behausungen von Roma oder Tatar*innen Attribute wie »unhygienisch«, »ärmlich« und »schmutzig« zugeschrieben wurden.20 Mit solchen verbalen Stereotypen in zeitgenössischen Landesbeschreibungen, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln korrelierten die Bilder auf Ansichtskarten, die aufgrund ihres kleinen Formats und ihres verhältnismäßig geringen Preises als populäre Bildmedien für die Zuspitzung und Verbreitung von Vorstellungen in den Köpfen bestens geeignet waren. Aus der Vielzahl der Typisierungen und Stereotypisierungen dobrudschanischer Menschen auf Ansichtskarten kann hier lediglich eine Auswahl präsentiert werden. Bei T. G. Dabo in Constanța wurde eine Ende 1899 gelaufene Karte verlegt, die als Collage aufgebaut ist. Die gezeichnete Karte (Abb. 1) trägt den Titel Salutări din Dobrogea (Grüße aus der Dobrudscha) und stellt im zentralen Feld die dörfliche Moschee von Caraharman (heute Vadu) vor.21 In zwei kleineren Nebenvignetten sind ein tatarisches Paar beziehungsweise verschleierte Frauen mit Kindern abgebildet. Unter diesen Bildausschnitten steht »Tipuri din Dobrogea« (Typen aus der Dobrudscha). Die Empfänger*innen einer solchen Karte mussten unweigerlich den Eindruck gewinnen, die islamische Kultur sei das bestimmende Merkmal der Dobrudscha und Menschen orientalischen Aussehens dominierten innerhalb der dortigen Bevölkerung. Auch die bei D. Nicolaescu verlegte Karte Hoge tătăresc în Dobrogea chemând la Geamie pentru rugăciune (Ein tatarischer Hodscha in der Dobrudscha ruft zum Gebet in die Moschee) scheint diese Verengung zu intendieren.22 Vor einer schlichten Landmoschee, deren topografische Koordinaten nicht angegeben werden, steht ein Muezzin im langen Gebetsgewand erhöht auf einem Stein, vor dem in Ermangelung eines Minaretts ein senkrechter Stein wie ein Pult aufgestellt ist. Im Hintergrund sind Männer in traditioneller osmanischer Gewandung, mit weiten Umhängen und Turbanen, zu sehen, während die Tür zur Moschee offensteht. Auf dem Dach des Gotteshauses hat ein Storch sein Nest gebaut. Dieser Vogel gilt gemeinhin als Symbol für Treue und Lebenskraft und soll in diesem Bild die starke Verwurzelung der Muslim*innen in der Dobrudscha akzentuieren. Einen eindeutig orientalistischen Hintergrund vermittelt auch eine Karte (Abb. 2) aus dem Verlag Șaraga in
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