Einleitung Bebilderte Postkarten wurden Ende des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Massenmedium, das Ansichten von fernen und nahen Landschaften, Dörfern und Städten sowie Darstellungen von Personen bereithielt. Käufer*innen und Absender*innen sowie Empfänger*innen und Sammler*innen nutzten die beliebten Karten, um sich ein Bild von der Welt und ihren Bevölkerungsgruppen zu machen. Eine nicht weiter bekannte Frau sendete 1899 eine Karte aus der Bukowina an ihren Sohn Friedrich Wilhelm in Wien, auf die sie schrieb: »Die [...] Gesellschaft auf dem Bild macht mir hier in natura viel Vergnügen«.1 Die kolorierte Zeichnung zeigte Personen in unterschiedlicher Kleidung, die durch Untertitel als »Rumänen«, »Israelit«, »Huzulen«, »Lipowaner« und »Ruthenen« markiert wurden (Abb. 1). Jene durchaus stereotypen Darstellungen von ethnisierten Gruppen waren damals nachgefragt. »Hier etwas für Deine Typensammlung«, begründete ein weiterer Postkartenschreiber die Wahl eines Motivs, das die Fotoaufnahme einer »Ruthenin« zeigte (Abb. 2).2 »Damit Sie einen Begriff haben, wie die Bauern in der Bukowina an Sonntagen gekleidet sind, habe ich diese Ansichtskarte gewählt«, kommentierte ein anderer Schreiber eine Bildpostkarte, auf der eine »ruthenische Bäuerin« dargestellt war.3 Beispiele solcher Bildpostkarten mit sogenannten Volkstypen lassen sich um 1900 nicht nur für die Bukowina – eines der östlichen Kronländer der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie –, sondern für weite Teile des östlichen Europa und darüber hinaus vielfach finden.4 Wie lässt sich die Faszination für die auf Postkarten verkauften »Völker« erklären, wer brachte sie auf den Markt und welche Rolle nahmen sie bei der Konstruktion des Eigenen und Fremden ein? Als Teil der »Bildkultur für die Massen des Volkes«5 formten die kleinformatigen Medien Vorstellungen einer nach Völkern geordneten Welt. Sie hatten dabei – so ein erster Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes – eine politisch wichtige Bedeutung im Zuge des aufkommenden Nationalismus, der in den multiethnischen Regionen des Habsburgerreichs, des Deutschen Kaiserreichs und des Russländischen Reichs zeitgleich an Relevanz gewann. Darüber hinaus – so ein zweiter Ausgangspunkt – muss jedoch die Bildpostkarte als Geschäftsfeld im östlichen Europa berücksichtigt werden. Denn zum einen war sie ein (Kommunikations-)Medium, das Kategorien und Wertigkeiten konstruierte, zum anderen aber vor allem ein Produkt, um das mit dem Beginn des »visuellen Zeitalters«6 auch im östlichen Europa neue Geschäftsfelder und Erwerbsmöglichkeiten entstanden.7 Fotoateliers, Buch- und Papierhandlungen, Verlage und Druckereien verdienten ihr Geld mit gedruckten Bildern, um 1900 insbesondere in Form von Bildpostkarten. Die Produktion, Distribution und Vermarktung der Bildpostkarten bedingten die Semantiken der Bilderwelten um Ethnizität beziehungsweise Multiethnizität mit. An dieser Schnittstelle von Politik und Ökonomie widmet sich der vorliegende Band der Geschichte der Postkartenproduktion des östlichen Europa.8 Mit unserem Fokus auf Bildpostkarten mit Darstellungen von Personengruppen werden Ansätze aus der neueren Forschung zu Nationalisierungs- und Ethnisierungsprozessen aufgegriffen.9 Diese betonen für das östliche Europa, dass Ethnizität sich gerade nicht in feststehenden ethnischen Gruppen gezeigt habe, sondern vielmehr in dem Bestreben politischer Akteur*innen, diese herzustellen. Jener Prozess war jedoch vielschichtig und brachte Phänomene wechselnder Loyalitäten sowie nationaler Indifferenz hervor. Nationalisierungsprozesse lassen sich demnach nicht über eine essenzialistisch verstandene, von der historischen Forschung identifizierbare Ethnizität der Bevölkerungen erklären.10 Um 1900 auf Postkarten zirkulierende Fotografien bildeten ethnische Gruppen folglich nicht unmittelbar ab, sondern sie waren ein zentrales Medium ihrer Herstellung. Dies gilt ebenso für Bildpostkarten, die Gemälde oder Zeichnungen reproduzierten. Während Propagandapostkarten, Darstellungen von Gebäuden und Infrastruktur sowie jüngst die sprachlichen Setzungen der Karten in der Forschung bereits untersucht wurden,11 stellte die ethnische Inszenierung von Personen auf Postkarten für das östliche Europa bisher weitgehend ein Desiderat dar.12 Visuelle Typisierungen von Personengruppen sind zwar bereits aus früheren Jahrhunderten bekannt,13 doch gaben die Etablierung der Volks- und Völkerkunde und die damit verbundene ethnografische Fotografie der visuellen Kategorisierung von Menschen in »Volksgruppen« und »Volkstypen« neuen Schub.14 Über die relativ niedrigpreisigen Bildpostkarten wurden jene ethnografischen Fotografien massenhaft verfügbar, in ebenso großem Umfang gelangten reproduzierte Zeichnungen von ethnisch, religiös oder anderweitig markierten Personengruppen auf den Markt. In der Konstruktion des Eigenen und Fremden kommt visuellen Medien eine besondere Rolle zu, was nochmals gesteigert für die Phase des Nationalismus gilt.15 Zentral für
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