Leseprobe

Einleitung 9 q unternehmen mit mehreren Dutzend Mitarbeiter*innen. Auch Zeitungen, Vereine oder staatliche Institutionen traten als Verleger in Erscheinung. Teilweise basierten Unternehmen ihr Geschäft hauptsächlich auf dem Postkartengewerbe, für andere wiederum war die Postkartenproduktion eines von mehreren Standbeinen. Zeitungen, Vereine und staatliche Institutionen nutzten Postkarten überwiegend für Öffentlichkeitsarbeit – von Werbung bis zu Propaganda. Aber auch die eine oder andere Vereinskasse, so Rudolf Jaworski, Karin Almasy und Theodor Domej in ihren Beiträgen, wurde über den Verkauf von Postkarten aufgebessert. Um dieser Vielfalt an Geschäftsmodellen und Beweggründen gerecht zu werden, findet abgeleitet von einer Formulierung Timm Starls der Begriff der editorischen Institutionen Verwendung.22 In der Regel – so ein drittes Ergebnis – scheinen Männer die editorischen Institutionen in den Regionen geführt zu haben, die in diesem Sammelband im Fokus stehen. Ihre Namen standen im Großteil aller Fälle auf den Karten und in den Geschäftsunterlagen. Von Abraham Ostrowski in Łódź bis Zacharij Vinogradov in Moskau – auf dem Papier war es eine Männerwelt. Das bedeutet allerdings nicht, dass Frauen nicht auch im Postkartengeschäft tätig waren. In einigen dokumentierten Fällen führten sie über Jahre die Unternehmen ihrer verstorbenen Ehemänner oder besetzten andere wichtige Positionen in Familienbetrieben.23 Frauen leiteten zudem Geschäftsräume und kümmerten sich maßgeblich um den Verkauf der Postkarten.24 Die überlieferten Quellen, die zu den Personen hinter den Postkarten generell wenig sagen, erlauben uns nur begrenzte Einblicke in die arbeitsteilige Welt. Um die Rollen von Frauen in der Branche, die aus Überlieferungssplittern hervorgehen, dennoch sichtbar zu machen, haben wir uns im Band für die Nutzung der gendersensiblen Schreibweise entschieden. Zur Belegschaft der editorischen Institutionen konnten außerdem Schreiber*innen, Drucker*innen oder Lithograf*innen zählen. Die Beschäftigung Minderjähriger war in einigen Betrieben der Normalfall.25 Künstler*innen waren ebenfalls mit den editorischen Institutionen verbunden. Teilweise gehörten sie fest zu den Betrieben, teilweise kooperierten sie mit einem oder mehreren Verlagen. In manchen Fällen waren auf lokaler Ebene ganze Künstler*innengruppen mit bestimmten Postkartenproduzent*innen assoziiert. Zentral zu nennen ist hier der Salon Malarzy Polskich (Salon polnischer Maler), ein in Krakau ansässiger Verlag, der mit der lokalen Kunstszene zusammenarbeitete. Die editorischen Institutionen bildeten – so ein vierter Befund – Knotenpunkte in einer Reihe von Netzwerken. So kooperierten sie nicht nur mit Künstler*innen, sondern auch mit anderen Verlagen über Städte, Regionen und Staatsgrenzen hinweg. Diese Verbindungen wurden von gemeinsamen politischen, aber auch ökonomischen Interessen getragen. Das Spannungsfeld ideologischer und wirtschaftlicher Interessen hilft als Analysewerkzeug dabei, die an der Bildmedienproduktion beteiligten Akteur*innen differenzierter zu verorten. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbands eröffnen ein breites Spektrum an Positionierungen. Es reicht von Verlagsinhaber*innen, die je nach Marktlage Bildmotive im Widerspruch zu ihrem eigenen politischen Engagement veröffentlichten, bis hin zu Akteur*innen, die ihre politischen Überzeugungen zum Geschäftsmodell machten. Nicht selten gerieten die Verlage – fünftens – ins Visier der Zensurbehörden, die in den untersuchten Regionen unter jeweils unterschiedlichen Bedingungen agierten. In den Gouvernements des Russländischen Reichs – so Anna Larina, Ruth Leiserowitz und Vita Zelče in ihren Essays – standen Druckerzeugnisse mit nationalen Inhalten, die von russischnationalen Narrativen abwichen, unter strenger Beobachtung. Aber auch in der Provinz Posen im Deutschen Kaiserreich verurteilten die Gerichte Verleger*innen von polnischnationalen Inhalten zu hohen Geldstrafen. Im Habsburgerreich gab es keine Vorzensur, aber offen nationalistische und hetzerische Agitation, so Theodor Domej in seinem Beitrag zu Kärnten, stand unter Strafandrohung. Insgesamt ging das Handeln der Bildmedienproduzent*innen – so eine sechste Erkenntnis – kaum in einem strikten Wirtschaftsnationalismus auf, also der »Unterordnung des wirtschaftlichen Interesses unter das nationale«,26 und auch nicht in seiner abgeleiteten Form, einer »ethnischen Ökonomie«.27 Allerdings kam es vor, dass Staaten eine Art Wirtschaftsprotektionismus zugunsten der heimischen Postkartenhersteller*innen betrieben. Julia Richers zeichnet diese Nationalisierung des Postkartenmarkts in ihrem Beitrag zum Königreich Ungarn nach. Daneben gab es Verlagsinhaber*innen, die sich öffentlich kaum politisch positionierten, mit ihren Produkten jedoch ein breites politisches Spektrum bedienten. Die editorischen Institutionen nutzten – siebtens – eine Reihe von Ansätzen, um öffentliche Aufmerksamkeit für die Unternehmen und ihre Produkte zu generieren. Werbeanzeigen in lokalen Tages- und Wochenzeitungen zählten bei vielen Unternehmen zum Kern der

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