Leseprobe

17 16 Abschließen möchte ich diese Gedanken zur Sammlung von Michael und Anna Haas mit einer Arbeit von Jakob Mattner (*1946), weil in ihr die Aspekte der Überzeitlichkeit, der Maskierungen aber vor allem der Grenzen (und Möglichkeiten) von Erkennen angesprochen werden. Mattners 18-teilige Serie mit dem Titel Der gezielte Blick, 1999 (Abb. S. 126, 127) vereint mehrere Zeitebenen: das 16. Jahrhundert, das Jahr 1939 und den Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert. Diese verschiedenen Zeitebenen verdeutlichen auch die unterschiedlichen künstlerischen Mittel und die Zwecke, denen sie dienen. Im 16. Jahrhundert sind Porträts weltlicher Herrscher und Herrscherinnen, Personen adeligen Stands sowie aus dem militärischen oder universitären Bereich en vogue. Sie werden oft in beherrschte Länder geschickt und dienen dazu, den Machtanspruch zu untermauern, politisch motivierte Heiratsanträge in die Wege zu leiten oder der Einschreibung in eine genealogische Repräsentation. Es gibt zahlreiche Künstler und Künstlerinnen, die auf solche Porträts spezialisiert sind. Hofmaler wie François Clouet (1510–1572) und sein Vater Jean Clouet (1480–1541) gehören ebenso zu diesen wie François Pourbus d. Ä. (1545–1581) und Jean Decourt (1530–1584). Mattner nutzt für seine Serie Werke dieser Künstler, die er einer 1939 erschienenen von dem französischen Kunsthistoriker und Royalisten Louis Dimier (1865–1943) herausgegebenen Mappe entnimmt. Diese Mappe enthält 42 Kupfertiefdrucke von französischen Zeichnungen, die unter anderen 15 Abbildungen von François, 12 von seinem Vater Jean Clouet, 4 von François Pourbus, 2 von Jean Decourt sowie einiger weiterer Künstler beinhalten. Dargestellt sind Adelige aus der Valois-Dynastie des 16. Jahrhunderts, ihre Hofdamen und Mätressen, aber auch Personen aus dem Militär, der Kirche oder Gelehrte. Mattner macht jedes der Gesichter unkenntlich, indem er einen schwarzen kreisrunden Fleck dort platziert, wo Augen, Nase, Mund zu sehen wären. Diese Flecken gleichen der Blindheit, die man hat, wenn man zuvor in die grelle Sonne geschaut hat und gleich anschließend eine Person zu erkennen sucht.4 Dort wo die Identitätsmerkmale sitzen, gibt es einen blinden Fleck und die Frage kommt auf: Kann man der ›wirklichen‹ Person auf die Spur kommen? 1 Die heutigen aktuellen Diskurse um Rassismus machen sensibel für ausgrenzende Stereotype, wie sie gerade in traditionellen Bräuchen (noch) zu finden sind. Obwohl die Herkunft dieser speziellen alpenländischen Maske nur rudimentär bekannt ist, erhärten sich keinerlei Verdachtsmomente, dass diese mit dem im Mittenwald/Karwendel verbreiteten Masken in Verbindung steht. https://www.larvenfreunde.de/maskenmuseum/ maschkera-mohr-2/ (Stand: 17.4.2023). 2 Michaela Nolte: Geologie der Gesichter, in: Tagesspiegel, 15.3.2002. 3 Caroline Flosdorff: Elfriede Lohse-Wächtler, in: Painting still alive… on the way to modernity, Kat. The Centre of Contemporary Art ›Znaki Czasu‹ (Hrsg.), Toruń, 2018, S. 156. 4 Mattner beschäftigt sich mit Licht, Schatten und Zwielicht und hat sich intensiv u.a. in Zusammenarbeit mit Astrophysikern und Astrophysikerinnen mit der Sonne auseinandergesetzt. Vgl.: Der Blick in die Sonne. Jakob Mattner und Sonnenforscher des Einsteinturms, Kat. Berlinische Galerie, Museum Wiesbaden, Neues Museum Weserburg und Museum der Moderne Salzburg, 2005. Pourbus the Elder (1545–1581) and Jean Decourt (1530–1584). Mattner uses works by these artists for his series, which he took from a portfolio published in 1939 by the French art historian and royalist, Louis Dimier (1865–1943). This portfolio contains forty-two copper intaglio prints of original French drawings, including fifteen by François, twelve by his father Jean Clouet, four by François Pourbus, two by Jean Decourt, as well as works by several other artists. They depict noblemen from the sixteenth-century Valois dynasty, their ladies-in-waiting and mistresses, but also military figures, high churchmen and men of learning. Mattner makes each of the faces unrecognisable by placing black, circular dots where the eyes, noses and mouths would normally be. These dots resemble the quasi blindness one endures when having previously stared at the sun and immediately afterwards struggled to recognise a familiar face.4 There is a literal blind spot here in the very place where the markers of identity are normally situated, prompting the question: is it actually possible to identify the ‘real’ person? 1 Today’s discourse on racism makes us more sensitive to the exclusionary stereotypes that can (still) be found in traditional customs. Although knowledge about the origin of this special alpine mask is limited, there are no grounds for suspicion that it is connected with the masks that are widespread in Mittenwald/ Karwendel. https://www.larvenfreunde.de/ maskenmuseum/maschkera-mohr-2/ Last accessed 17 April 2023. 2 Michaela Nolte, “Geologie der Gesichter,” Tagesspiegel, 15 March 2002. 3 Caroline Flosdorff: Elfriede Lohse-Wächtler, “Painting still alive… on the way to modernity,” exh. cat. The Centre of Contemporary Art ‘Znaki Czasu’ (Toruń, 2018), p. 156. 4 Mattner focuses upon light, shadow and twilight and has intensively studied the sun in collaboration with astrophysicists, among others. Cf. Der Blick in die Sonne. Jakob Mattner und Sonnenforscher des Einsteinturms, exh. cat. Berlinische Galerie, Museum Wiesbaden, Neues Museum Weserburg and Museum der Moderne Salzburg, (Wiesbaden: Museum Wiesbaden, 2005).

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