Auf allen fünf Kontinenten ist das Maskentragen verbreitet, eine Faszination für Menschen jeden Alters, jeder Herkunft. Masken spielen eine Rolle bei religiösen Riten, für Schamanen und Schamaninnen, bei Fastnacht und Karneval oder Nikolausfesten. So vielfältig und bunt die Anlässe, Umzüge und Bräuche sind, so vielfältig und fantasievoll sind auch die Masken: Vom Karneval in Brasilien oder Belgien bis zu dem im deutschen Rheinland, von der schwäbisch-alemannischen Fasnet bis zu Fasnachtsbräuchen in Tirol, der Schweiz oder auf dem Balkan, von Neuguinea bis Sibirien. Diese Masken können freundlich, würdig, furchterregend, verschmitzt, grimmig, rätselhaft, lachend, leidend, übermütig, ulkig, todernst, grotesk, menschlich, dämonisch, glatt, runzelig, heiter, finster, fröhlich, wild sein – ja, ganz ähnlich wie die ›echten‹ Gesichter. Bloß verändern sich die Masken nicht, ihr Ausdruck bleibt immer gleich, die Mimik eingefroren und starr. Einst war die Maske ein Mittel, um Dämonen und Geister abzuwehren oder um mit diesen in Kontakt zu treten, sie günstig zu stimmen. In manchen Gegenden gilt dies immer noch, doch für alle Masken trifft bis heute zu: Sie verwandeln nicht nur das Gesicht, sondern den ganzen Körper, den ganzen Menschen. Es ist gerade umgekehrt als bei jenen, die ohne Maske und ohne Gefühlsausdruck Selbstbeherrschung beweisen wollen: Die Maske macht oft ungehemmt, frei, ist elementar in einem Rollenspiel auf Zeit. Rollenspiel: Identitätswechsel, Verwandlung, verstellte Stimmen, Regeln werden außer Kraft gesetzt – die Maske selbst aber bleibt unverändert, wird nicht blass und errötet nicht, freut sich nicht, schämt sich nicht. Das alles kann finstere, sogar furchterregende Begegnung sein, häufiger aber ungehemmte Freiheit, die Narrenfreiheit, einhergehend mit Faszination und Riesenspaß für Maskentragende wie für jene, die ihnen über den Weg laufen und von ihnen ›zum Narren gehalten‹ werden: Spontane, intensive, enthemmte, lustige Begegnungen, die oft ganz lange und eindrücklich in Erinnerung bleiben. So gibt es überall in der Welt der Masken diese magischen Momente, die auch Stunden oder Tage dauern können, in denen die wirkliche Person verschwindet hinter der Verkleidung und der Mensch völlig eins mit seiner Maske wird. »Keiner weiß, wer ich bin!« Das gilt ganz besonders im traditionsreichen Narrenstädtchen Elzach im Schwarzwald, 30 Kilometer nordöstlich von Freiburg. Der Narr1 bleibt anonym, das gilt dort als oberstes ›Gesetz‹ und ist eine Besonderheit, geradezu ein Markenzeichen im großen schwäbisch- alemannischen Fasnetraum. Denn es wäre eine ›Todsünde‹, wenn sich die uralte, traditionelle Fasnachtsfigur, der überregional bekannte Schuttig, ohne Maske, ohne Larve in der Öffentlichkeit zeigen würde. Vermutlich wäre es für viele Narrenfreunde und -freundinnen sogar weniger anstößig, wenn jemand das Jahr über nackt durchs Städtchen rennen würde als an Fasnet ohne Larve vor dem Gesicht. Und um bloß nicht erkannt zu werden, wechselt so mancher Schuttig, sollte ihn etwa doch einmal sein Gang oder seine Haltung verraten, immer mal wieder heimlich sein ›Gesicht‹, die Larve. Denn die Vielfalt der Maskentypen ist in Elzach riesig: Es gibt Fratzen, Teufels- und Bartlarven, Bären- und Fuchsgfriss, Mundle, Langnasen, Lätsch und noch andere und dies alles wieder in vielerlei Variationen in Aussehen und Bemalung; dazu noch verschiedene seltene Typen, etwa das schauerliche Dotegfriss (Totengesicht), welches dem Begegnenden die nicht nur an Aschermittwoch geltende Mahnung »memento mori« – »Gedenke, dass du sterblich bist«, drastisch vor Augen führt. Oder, wie es schon zum Auftakt jeder Fasnet der Zunftmeister für alle an der Narretei Beteiligten verkündet: »Drum nützet jetzt die kurze Zeit, damit es keinen von euch reut …!« The wearing of masks is a widespread phenomenon across the world’s five continents and holds a particular fascination for people of all ages, of all origins. Masks play a role in various religious rites, be it for shamans, at Shrovetide and Carnival, or at the Feast of Saint Nicholas. Wholly commensurate with the diversity and colourful splendour of these occasions, parades and customs, the masks themselves are richly varied and highly imaginative: ranging from the Brazilian or Belgian carnivals to Karnival in the German Rhineland, from the Swabian-Alemannic Fastnacht or Fasnet to Fasching customs in Tyrol, Switzerland or the Balkans, from New Guinea to Siberia. These masks can be friendly, dignified, frightening, mischievous, grim, enigmatic, laughing, suffering, high-spirited, funny, deadly serious, grotesque, human, daemonic, smooth, wrinkly, cheerful, sinister, happy, or wild – yes, just like ‘real’ faces! The only thing is, unlike human faces, the masks do not change, their expressions remain fixed, the various physiognomies frozen and rigid. The mask was once a means to ward off daemons and spirits or to contact them, to mollify them and make them more amenable to humankind. In some regions this still holds, but for all masks in general, the rule applies to this day: not only do they change the wearer’s face, but also, they equally transform his/her whole body, his/her whole persona. It is the precise opposite of those who want to present an air of self-control by eschewing a mask and any form of emotional, facial expression: the mask is thus truly transformational, often making one feel uninhibited, liberated and, as such, it is elemental to a temporally-circumscribed role-play. Role-play: a change of identity, transformation, disguised voices, normal rules no longer obtain – but the mask itself remains unchanged, it does not blanch or blush, it does not rejoice, it does not feel ashamed. All of this can entail sinister, even frightening encounters, but more often than not it engenders a delectable, uninhibited sense of freedom, so-called Narrenfreiheit (literally: freedom of the Fool) or the freedom to do as one pleases, accompanied by fascination, fun and hilarity for those who are wearing the masks, as well as those who encounter them and are
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