Das deutsche Wort ›Person‹ ist aus dem Lateinischen – Persona – entlehnt und bedeutet übersetzt ›Maske‹ und verweist auf die Rolle, die eine Person im Schauspiel oder im Leben einnimmt. Der Schweizer Psychiater und Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung (1875–1961) übernimmt diese Bezeichnung für denjenigen Teil der Persönlichkeit, der die Beziehung des Individuums zur Gesellschaft organisiert. Jung erfasst damit die Art und Weise, wie jeder Mensch sich an die Gemeinschaft anpasst und seine soziale Rolle darin übernimmt. Die Persona ist also unsere soziale Maske. Sie ist das Gesicht, das wir anderen zeigen, das uns erlaubt, mit ihnen zu kommunizieren und ihnen wiederum hilft, uns zu identifizieren. Das ›Ich‹ kann sich in der Regel mit der Persona identifizieren, was dazu führt, dass wir uns meistens gar nicht bewusst sind, dass wir diese Maske tragen. Es ist eine Maske in doppelter Funktion – zum einen wird ein ›Ich‹ zur Schau getragen und zum anderen bietet sie der dahinter verborgenen Individualität Schutz. Das Gesicht als der Ausdruck von Identifizierbarkeit schlechthin ist demnach aber auch genau der Teil des Menschen, der seine Identität verbirgt. Dies impliziert, dass schon im Personsein selbst es darum geht, wie wir uns der Welt zeigen. Darum, welche sozialen Rollen bedient und welche Charaktere eingenommen werden. Kann man der ›wirklichen‹ Person unter der Maske auf die Spur kommen? Diese unter der perfekten sozialen Maske schlummernde Person wird in dem Werk der britischen Künstlerbrüder Dinos und Jake Chapman (*1962, *1966) ins Bild gesetzt. In der bis heute fortlaufenden, 2008 gestarteten Serie mit dem Titel One Day You Will No Longer Be Loved (Eines Tages wirst Du nicht mehr geliebt werden) nutzen die Chapmans Werke anonymer Künstler und Künstlerinnen, die sie auf Auktionen oder Flohmärkten finden und die Porträts des 19. Jahrhunderts unbekannter Personen zeigen. In dem mit der laufenden Nummer XIX (Abb. S. 39) betitelten Gemälde aus dieser Werkreihe lugen unter dem ansonsten rosig glatten Gesicht mit Äderchen und Falten übersäte Nase, Mund und Augen hervor. Verfall, Krankheit, Hässlichkeit lauern unter der perfekten Fassade einer für dieses Porträt mit Schleifen, Spitzen und ondulierten Haaren herausgeputzten Frau. Das oberflächlich Schöne mit dem schwer fassbaren Unheimlichen zu verbinden sowie die eine Qualität in der jeweils anderen immer mitschwingen zu lassen, das beherrscht auch die aus einer ungarischen Migrantenfamilie stammende, in Kanada geborene Künstlerin Marianna Gartner (*1963). In ihrem nur 25×25 cm großen Gemälde St. Sebastian head shot, 2008 (Abb. S. 38) trägt die abgebildete Person eine mit Augenpartie und Seemannshut bedruckte Maske aus Karton, die nur die Hälfte des Gesichts verdeckt und dadurch verblüffend echt wirkt. Man kann bei Gartners Seemann aber weder erkennen, in welcher Stimmung sich die Person befindet, noch für welchen Anlass sie sich maskiert hat; das wirkt in gewisser Weise auch beunruhigend – und so vermag das (vermeintlich) niedliche Bild auf dem linken Handrücken, das Donald Duck mit Seemannsmütze zeigt, auch nicht so recht als Hinweis auf die (Harmlosigkeit der) Absichten seines Trägers taugen. Masken bieten die Möglichkeit, all das zu verkörpern, was wir im Lebensalltag nicht sind oder nicht sein können beziehungsweise dürfen – im Guten und Lustigen wie im Bösen und Abgründigen. Die durch die Maske garantierte Anonymität hat Potenzial zum Zügellosen und Ausschweifenden. Wenn Menschen ihr Gesicht nicht zeigen, ist es entweder religiös motiviert oder aber es markiert einen Ausnahmezustand: Verbrechen, Krieg, Schande, Krankheit oder eben Spiel, Karneval, Narretei. The German word ‘Person’, akin to its English equivalent, is a borrowing from the Latin word persona, denoting an actor’s ‘mask’. The Swiss psychiatrist and founder of analytical psychology, Carl Gustav Jung (1875–1961) utilised this term for the part of human personality that organises the individual’s complex relationship to society. Jung deployed the term to embody the way in which each person adapts to his or her community and assumes commensurate social roles within it. The persona is thus our social mask. It is the face we show to others that allows us to communicate with them and, in turn, help them to identify or recognise us. The idea of ‘I’ is usually one with the persona, which means that most of the time we are not even aware that we are wearing this mask. At the same time, it is a mask with a dual function – on the one hand, an ‘I’ is presented and on the other, this mask offers a substantial degree of protection for the individual concealed behind it. The face, as the quintessential expression of identifiability, is therefore also precisely the part of the person that also conceals one’s identity. This naturally implies that being a person is about how we present ourselves to the world. It is about which social roles are served and which characters, personalities are adopted. But can one ever really identify the ‘actual’ person behind the mask? This person, latent behind the manifest, perfect social mask, is visualised in the work of the British artists known as the Chapman Brothers, Dinos and Jake Chapman (b. 1962 and b. 1966 respectively). In the series titled One Day You Will No Longer Be Loved, which continues to this day and was launched in 2008, the Chapman Brothers paint on works by anonymous artists that they have come across at auctions or flea markets and which feature nineteenth-century portraits of unknown individuals. In the painting from this series, titled with the serial number XIX (fig. p. 39), the nose, mouth and eyes, covered with veins and wrinkles, peek out from under the otherwise rosy, smooth face. Decay, disease, ugliness lurk beneath the perfect façade of a woman dressed up for this portrait with bows, lace and crimped hair. The masterful ability to combine the superficially beautiful with
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