Leseprobe

052 Bekenntnis zum Romantisch– Expressiven 1957/58 von Gerhard Hoehme Die Sprache des Informel sprachen in Deutschland nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Düsseldorf und München in den Jahren von 1952 bis 1959 verschiedene junge Künstler:innen. Im Vergleich zu den Arbeiten der Quadriga-Künstler soll im Folgenden an dem Gemälde Bekenntnis zum Romantisch-Expressiven (Abb. 1) aus dem Jahr 1957/58 von Gerhard Hoehme gezeigt werden, dass die Sprache des Informel vielfältig ist. Sie äußert sich nicht nur in individuellen künstlerischen Handschriften, in der Wahl technischer Ausdrucksmittel, sondern in intellektuellen Weltbildern und Empfindungen hinter den neuen Formen. Die Rückschau zeigt, dass die informelle Malerei in Deutschland nicht als eine Stilrichtung im Sinne einer Sezession zu beschreiben ist. Der Beginn der Moderne seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist durch sezessionistische Abspaltungen aus den Akademien gekennzeichnet. In konsequenter Fortsetzung fanden hiervon ausgehend die Gründungen von Künstlergruppen wie die Brücke2 und Der Blaue Reiter3 statt. Im Fortgang führte der Weg der Moderne in den 20er-Jahren zur Gründung des Bauhauses (1919). Selbst wenn daraus nicht wie geplant eine Schule erwuchs, ist das Schaffen der beiden Bauhaus-Meister Wassily Kandinsky und Paul Klee als Einführung der Abstraktion in die Malerei einzustufen. Weitergeführt im Werk von Willi Baumeister, mit abstrakt-geometrischen Grundformen und zeichenhaften Elementen sowie der reinen Farbe in ihrer puren Materialität, gab es für die junge Generation der Künstler nach 1945 ausreichend Studienstoff. Individueller Ausdruckswille als Zeichen einer unbeschränkten Freiheit wurde verknüpft mit einer neu entwickelten Technik im Prozess des Malens. Hinzu kamen Einflüsse der zeitgenössischen Kunst aus Paris, die diese Generation eine moderne abstrakte Kunst erschaffen ließ. Die Künstler vereinte die gemeinsame Zielsetzung. Dazu gehörten auch die gesuchte Nähe und der Austausch mit Kunstkritikern und Galeristen, die für die Avantgarde warben, vermittelten oder gegen die Bürgerlichkeit polemisierten.4 Diese Rezensenten gaben der Bewegung einen Namen: Informel. Die Künstler waren an Ausstellungen interessiert, in denen sie die Möglichkeit erhielten, gemeinsam nach außen aufzutreten, um so die Öffentlichkeit für ihre Kunst zu interessieren. Sie hatten weder ein Programm noch sonst etwas Bindendes oder Ideologisches ähnlich einem Manifest oder einen selbst gewählten Namen, wie bei den Künstlergruppen zwei Generationen zuvor. Geistesverwandtschaften und individuelle, einschneidende Kriegserlebnisse bildeten die Grundlage für den Wunsch, gemeinsam auszustellen. Die Künstler erhielten hierfür zunächst nur auf Einladung von innovativen Galeristen in verschiedenen Städten Westdeutschlands die Möglichkeit, ihre Kunst zu präsentieren.5 Allerdings bejubelte das Deutschland der 50er- und 60er-Jahre die gestische Malerei der Informellen nie wirklich.6 Eine gewisse Ambivalenz begleitete das Informel von Anfang an. So wurde diese Kunst, die schon bei erster Betrachtung wie künstlerische Dokumente eines Aufstands gegen die reine Abbildhaftigkeit und klassische Formgebung in der Malerei erschien, von zeitgenössischer kunstwissenschaftlicher Seite mit verschiedenen Etiketten belegt: Tachismus, Abstrakter Expressionismus, Informel oder einfach »Un art autre«. Werner Haftmann umschreibt den deutschen Beitrag zur Kunst nach 1945 mit »einem ausgesprochenen romantischen Charakter. Die Idee von der ›mystisch-innerlichen Konstruktion‹ der Welt ist eigentlich in allen ihrer Meister wirksam. Das Orphische und Naturmythische, die Verwurzelung des Menschen im Kosmischen [...] Das wirkt auf Farbe und Form zurück [...] Die deutsche Malerei gab dem ganzen europäischen Stilentwurf die ideelle Tiefe. Was ihm an formaler Kraft und Klarheit nötig war, fügte das Formgenie Frankreichs hinzu.«7 Die Autonomie des Malens war eine neue, eine solch gestische Malerei hatte es zuvor in der deutschen Malerei nicht gegeben: Die Farbe wird gegeneinandergedrückt und -geschoben, bis sie sich auftürmt, und im nächsten Augenblick verwirbelt sie so, dass Räume entstehen, die aber wenig mit Dreidimensionalität im Sinn von Wiedergabe einer vorgegebenen Wirklichkeit zu tun haben, sondern rein assoziativ sind. Die Farbe wird Bildthema, sie scheint

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