054 formlos aus der Bildfläche herauszuwachsen, so wie sie vorgibt, rasend schnell in der Bildtiefe zu verschwinden. Diese Befreiung von malerischen Regeln, von akademischem Formalismus und bürgerlichen Traditionen der Malerei ließ dabei sogar die abstrahierten Formen oder geometrischen Rhythmen und Linien der Anfänge der abstrakten Malerei von W. Kandinsky, P. Klee und J. Itten hinter sich. Das »Bild« erschien mit einem Mal offen. Ohne fixierten Inhalt, zumindest nicht mehr ohne Weiteres allein über den Verstand greifbar, wurde es zu einem Schauplatz für das Suchen und Finden von Betrachtenden und Künstler, erfahrbar durch emotionales Erleben des Bildgeschehens. Kunst im Wirtschaftswunderland War dies der Beginn einer Kunst nach der Stunde Null, die Ausdruck einer neuen, ideologisch nicht mehr zu vereinnahmenden Freiheit werden sollte, geträumt von nur sich selbst verantwortlichen Individuen?8 Bestand die von den Künstlern gesuchte neue Freiheit der Kunst in der gewünschten Mitarbeit des Publikums und in dem immer unabgeschlossenen, immer neuen Geschehen der »lebendigen Farbe«9? Geschieht die Verwendung der lebendig fließenden Farbe, deren scheinbar impulsive Verarbeitung zu reliefartigem, erhöhtem Farbauftrag unter Einbeziehung des Unbewussten des Malers? Das Unbewusste, das die Farbe dazu bringt, sich den Raum jenseits von Leinwand und Keilrahmen zu erobern, nämlich dort, wo sich die Betrachtenden befinden. Kunstaffine Einzelgänger wie Klaus Franck in Frankfurt oder JeanPierre (Karl) Wilhelm10 in Düsseldorf boten den informellen Künstlern eine Plattform, von der aus sie in ihrem Sinne bildend wirken konnten. Aber auch ganz merkantile Beweggründe spielten hier eine Rolle, da sie vermittels dieser Präsentation ihre Kunst zu verkaufen hofften. Auf die erste Ausstellung der sogenannten Quadriga 1952 in der Franck’schen Zimmergalerie folgend, bot am 2. Mai 1957 die erste Ausstellung in der Galerie 22 den Informellen eine weitere Gelegenheit, gemeinsam auszustellen. Hoehme und Wilhelm schrieben zu ihrer Wahl der Künstler in dieser Präsentation: »[...] von denen wir überzeugt waren, dass sie den Zeitgeist repräsentieren: Karl Otto Götz, Emil Schumacher, Bernard Schultze, Karl Fred Dahmen, Heinz Kreutz, Otto Greis, Winfried Gaul und Paul Jenkins.«11 Die Galerie 22 in Düsseldorf schloss 1960, die Zimmergalerie Franck in Frankfurt stellte ihre Tätigkeit 1961 ein. Die Schließung dieser Galerien bedeutete für die Künstler des Informel, dass nun jeder seine eigenen Wege ging und sich mit unterschiedlichem persönlichem Erfolg den deutschen Kunstmarkt eroberte.12 Zwischen diesen ersten Ausstellungen und der ersten Schau informeller Kunst in einem deutschen Museum vergingen jedoch mehrere Jahre. 1956 erhielt Gerhard Hoehme seine erste Einzelausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld, und die Wiesbadener Ausstellung: couleur vivante – lebendige farbe stellte erstmals den Quadriga-Künstlern französische Zeitgenossen gegenüber. 1957/58 folgte in der Kunsthalle Mannheim eine weitere Ausstellung: Eine neue Richtung in der Malerei, an der, neben der Quadriga und der Gruppe 53, Künstler der Gruppe ZEN 49, die sich in München zusammengefunden hatte, teilnahmen.13 Damit erhielt die deutsche informelle Malerei erstmals gemeinsam eine Plattform. Die documenta II, 1959, unter der Leitung von Werner Haftmann, war bemüht, unter der Überschrift Kunst nach 1945 als internationale Kunstausstellung alle neuen Kunstrichtungen zu Wort kommen zu lassen. Es gelang jedoch kein repräsentatives Bild der Kunst im Nachkriegsdeutschland. Arbeiten auf riesigen Leinwänden der abstrakten Expressionisten aus den USA drängten die deutschen Informellen in der Wahrnehmung in den Hintergrund. Zwar bewirkte die Kasseler Schau in den folgenden Jahren vermehrte Museumsausstellungen und persönliche Arrivierung einzelner Vertreter dieser deutschen Avantgardekunst,14 jedoch scheint die documenta II im Rückblick weniger der Beginn als beinahe schon ein Abgesang der informellen Strömung in Deutschland gewesen zu sein. Bald gaben Zero und die Pop-Art den Ton an, damit war die Abstraktion in der Malerei jedoch nicht abgeschafft. Vielmehr gilt bis heute, dass die Moderne ohne die Kraft der malerischen Geste, den Rhythmus und die gestaltende Wirkung der Farbe der Informellen nicht zu denken ist.
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1