022 Neue deutsche Kunst (1947) in Mainz Mit der Ausstellung Neue deutsche Kunst war die Stadt Mainz eine der ersten, die bereits 1947 zeitgenössische deutsche Künstler:innen präsentierte und die erste, die dies in der französischen Besatzungszone realisierte (Abb.1 und 2).5 Initiator und Kurator war Rudolf Busch, der Leiter der Gemäldegalerie Mainz (heutiges Landesmuseum Mainz). Dieses Unternehmen gelang mit viel Ehrgeiz und Mühe, trotz der damals zu 80 Prozent zerstörten Stadt und den damit einhergehenden sehr schwierigen Lebensverhältnissen, die von Busch schlichtweg als »abnorm« bezeichnet wurden. Busch, der selbst erst seit dem 1. Juni 1945 wieder seine Tätigkeit an der Städtischen Gemäldegalerie aufgenommen hatte, von welcher er 1933 als »Halbjude« entbunden worden war, gelang es durch ein großes persönliches Engagement, diese Ausstellung in Mainz in der kleinen Kunsthalle am Dom (heutiges Haus am Dom) auszurichten.6 Der improvisierte Ausstellungsort war von der französischen Militärbehörde erst kurz vorher freigegeben worden.7 Die ursprünglichen Museumsräume der Städtischen Gemäldegalerie im ehemaligen kurfürstlichen Marstall waren zu stark zerstört und daher auf lange Zeit für Ausstellungen nicht nutzbar (Abb. 3).8 In der im Archiv des Landesmuseums Mainz überlieferten Korrespondenz wird eindrücklich geschildert, mit welchen Problemen Busch damals zu kämpfen hatte. So musste sich der Kurator nicht nur um die Transporte durch die verschiedenen Besatzungszonen mit deren komplizierten Bestimmungen kümmern, sondern den Bürgermeister etwa auch um vier Reifen und Benzin bitten, denn es mangelte an allem, selbst dem Papier für den Katalog.9 Das ambitionierte Ziel von Busch war es, mit dieser Schau »die Entwicklung der deutschen Malerei der letzten 3 Jahrzehnte d. h. im grossen ganzen der noch lebenden und wirkenden Generationen aufzuzeigen. Das Schwergewicht der Ausstellung soll in den Werken der Abstraktionskunst liegen.«10 Busch versuchte somit, Künstler einer großen Bandbreite zu versammeln, die vom Expressionismus und der gegenständlichen Malerei bis hin zur Abstrak- »Wohin geht unsere neue Kunst?«,2 ist in dem Eingangsessay des kleinen Katalogs der ersten Mainzer Nachkriegsausstellung mit zeitgenössischen Kunstschaffenden zu lesen. Eine Frage, die vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu heftigsten Grundsatzdebatten führte. Denn wie könne man nach der überstandenen Apokalypse überhaupt noch weiterarbeiten? Es herrschte der Wunsch nach einem künstlerischen Neuanfang, nach einer Befreiung von den in den letzten Jahren erfahrenen politischen Bevormundungen und der im »Dritten Reich« vorgeschriebenen Kulturpolitik. Der programmatische Titel Blauer Aufbruch (Kat.- Nr. 39) – eines der zentralen Gemälde von Otto Greis, das 1952 entstehen sollte – greift diese Hoffnungen auf und steht für eine der künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten einer der durch die Doktrin des Nationalsozialismus stark beeinträchtigten jüngeren Generation. Zugleich war die damalige Ausgangslage im RheinMain-Gebiet für die Newcomer der deutschen informellen Malerei wie Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze beschwerlich und auch geprägt von den kulturpolitischen Vorstellungen der westlichen Besatzungsmächte, welche letztlich die Abstraktion als die neue Weltsprache einer freien Kunst propagieren sollten. Unabhängig von den vier Protagonisten der Quadriga3, denen diese Sonderausstellung gewidmet ist (vgl. ausführlich den Essay von Zuschlag, S. 36–49), soll im Folgenden mit dem besonderen Fokus auf Mainz eine Art Skizzierung der Standortbedingungen der jungen abstrakten Maler im Rhein-Main-Gebiet versucht werden, die alles andere als ideal waren. »Interesse für unsere Ausstellung ist nur im kleinen Kreise vorhanden, wir werden als kleines Fähnlein im Schatten (allerdings des Domes) kämpfen«, so die nüchterne Einschätzung des Kurators der bereits erwähnten Mainzer Ausstellung 1947.4 Auch wenige Jahre später sollte sich diese Situation nicht ändern.
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