Leseprobe

37 N »Ein jugendlicher Tänzer, Olindo Lowaël, alias Otto Wacker, Sohn eines Düsseldorfer Malers, taucht eines Tages im Gesichtskreis des Berliner Kunsthandels auf. Zunächst – man schreibt etwa 1922 – offeriert er dem kleineren Handel vergleichsweise bescheidene Objekte, Arbeiten der holländischen und Düsseldorfer Schule [...] Trotz günstiger Expertisierung einer Reihe der Stücke [...] ist man mißtrauisch, die Bilder werden großenteils als bedenklich abgelehnt.« 1 Leo Rosenthal, Prozess gegen den Kunstmaler Otto Wacker, die gefälschten Werke als Beweismittel, 1932, Landesarchiv Berlin So begann Grete Ring ihren Bericht über »Den Fall Wacker«, einer der größten Kunstfälschungsskandale des frühen 20. Jahrhunderts. Ring war in den Fall maßgeblich involviert – ihre Ausführungen erschienen im Jahr 1932 in der renommierten Berliner Zeitschrift Kunst und Künstler.1 Sie führte weiter aus:2 »Ende 1925/26 erscheint W. [Wacker] plötzlich mit einer Anzahl von Bildern Vincent van Goghs, die er, eines nach dem anderen, im Berliner Handel absetzt. Im Anfang noch ein wenig ›à côté‹ bleibend, dringen die Bilder bald in die angesehensten Häuser des Handels mit französischen Impressionisten.« Bei seinen Expertisen wurde Wacker von dem holländischen Van Gogh-Experten Jacob-Baart de la Faille unterstützt, der gerade ein Werkverzeichnis zu Van Gogh fertiggestellt hatte.3 Ab November 1927 organisierte Wacker eine eigene Ausstellung mit Zeichnungen und Aquarellen Van Goghs in Räumlichkeiten in der Viktoriastraße 12, Berlin, mitten im Berliner Galerienviertel und nur wenige Meter vom Kunstsalon Cassirer entfernt. Die Kunstwelt war beeindruckt. So schrieb Grete Ring weiter:4 »Damals herrscht, gerade in Deutschland, ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Bildern van Goghs, das sich aus dem bekannten Material nicht befriedigen ließ; die merkwürdige Verteilung des van Goghschen Bilderbestandes – in großen Mengen in einigen wenigen Händen festgelegt – ließ nur vereinzelt verkäufliche Stücke auftauchen [...] die wenig greifbaren, einwandfreien und zugleich charakteristischen Beispiele [...] wurden zu Preisen angeboten, die der deutsche Sammler nicht anzulegen bereit oder imstande war.« Und so entschieden sich Ring und ihr Geschäftspartner Walter Feilchenfeldt, ebenfalls eine Ausstellung Van Goghs zu organisieren, die am 15. Januar 1928 eröffnen sollte. Im Katalog5 wurden 92 Gemälde aufgeführt: Etwa die Hälfte stammte aus dem Besitz von Van Goghs Schwägerin Johanna und ihrem Sohn Vincent Willem;6 weitere aus prominenten Privatsammlungen, u. a. aus Berlin, Dresden, Luzern und New York. Die sechs übrigen Werke kamen aus dem Besitz Otto Wackers; aufgeführt im Katalog als Barken bei Saintes-Maries, Selbstbildnis mit verbundenem Ohr, Der Zouave, Mühlen bei Mondaufgang, Der Sämann (Abb. 3) und Die Zypressen.7 Als die Wacker-Bilder im Kunstsalon Cassirer eintrafen, standen Ring und Feilchenfeldt kurz vor ihrer Ausstellungseröffnung; die weiteren Leihgaben hingen schon an den Wänden der Galerie. Ring nahm die Lieferung entgegen und erkannte sofort, wie sie später schrieb,8 »dass die Bilder falsch sind [...] vor dem schimmernden Hintergrund der echten Bilder, die den Cassirerschen Oberlichtsaal füllen, stehen [die Wacker-Werke] hilf- und gnadenlos wie Baumwollflicken auf einem Brokatgewand«.

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