63 Grete Ring war alter und neuer Kunst nicht nur als Kunsthistorikerin und -händlerin zugewandt, sie war auch in Ausstellungen, Gesprächen und mit ihren Feuilletons als aufmerksame, kritische und anspornende Freundin der zeitgenössischen Kunstwelt präsent. Die Briefe von und an Walter und Marianne Feilchenfeldt, aus denen hier neben anderen zitiert werden konnte, sind durch Erbschaft heute in der Familie Feilchenfeldt in Originalen oder Kopien erhalten. Weitere Schriftstücke, die Grete Ring in ihr Exil mitgenommen hat, sind ebendort bewahrt. Darin fanden sich einige interessante frühe Künstlerkontakte, die wir in Archiven ergänzen konnten und hier teilweise zum ersten Mal drucken. 1 a Neujahrspostkarte von Oskar und Olda Kokoschka an Grete Ring, 1948/49, mit Porträtfotografie von Oskar und Olda Kokoschka bei der Biennale Venedig 1948, Privatbesitz Emil Nolde 1913 Der früheste Fund aus diesem Material stammt vom 46-jährigen Emil Nolde (1867–1956) und ist an die damals 26-jährige Kunsthistorikerin gerichtet. Er datiert vom 30. Januar 1913 (Abb. 2): »Tauentzienstr. 8 [...] Sehr geehrtes gnädiges Fräulein, Wenn es Ihnen möglich sein wird, wäre es mir angenehm Sie u. Ihre Collegen Nachmittags ca ½4 Uhr zu erwarten. Mir wäre der kommende Sonnabend passend, sollten Sie aber da nicht können, erwarte ich Sie gern am Montag. Es wird mich freuen Sie u. auch Ihre Collegen hier zu sehen. Hochachtungsvoll Ihr sehr ergebener Emil Nolde«1 Was der Grund dieses offensichtlich von Grete Ring angeregten Besuchs mit ihren »Collegen« bei Nolde war, ist nicht geklärt. Der Maler befand sich damals in einer künstlerischen und finanziellen Krise. Er stellte 1906 Erntetag in der Secession aus, war dort Mitglied seit 1908, aber sein Grosses Abendmahl, das 1909 entstand, wurde für die Ausstellung im Jahr 1910 abgelehnt; der Fall endete mit Noldes Ausscheiden aus der Secession. Mit diesem Schritt suchte sich der Künstler allen Gruppierungen zu entziehen. Er wurde jedoch noch weiter umworben, zum Beispiel von der seit 1910 im Entstehen begriffenen Neuen Secession.2 Möglicherweise bezieht sich der vorliegende Brief auf das in Noldes Autobiografie überlieferte Angebot der Firma Paul Cassirer, dem Künstler Ausstellungsräume zur Verfügung zu stellen. »Es kam auch Paul Cassirer durch Mittelsperson mir seine sämtlichen Räume zur Ausstellung anbietend. Meine Antwort war Nein.«3 Jedenfalls arbeitete die frisch promovierte Grete Ring bereits damals, zumindest zeitweise, auch in der Galerie Paul Cassirer. Vielleicht war sie sogar die »Mittelsperson«? Die Frage bleibt offen. Interessant ist die Tatsache, dass Ring ihr Leben lang diesen Brief aufbewahrt hat und sogar mit ins Exil nahm – trotz Noldes späterer Sympathie für die Kulturpolitik des »Dritten Reichs«, die Ring vielleicht schon früh kommen sah. In der dreiteiligen, vom Herbst 1932 bis Frühling 1933 ausgerichteten Ausstellung Lebendige Deutsche Kunst zum Beispiel, die in Zusammenarbeit mit dem Galeristen Alfred Flechtheim als frühe
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