Leseprobe

79 »Es wird wieder gebaut, nicht wenig gebaut, in Berlin! Das fällt jedem Besucher der Stadt auf, mag er nun das Stadtinnere oder die Vororte durchstreifen.«1 So konnte man es 1927 programmatisch in den Modernen Bauformen lesen. Das kleine »Sakrow« zählte man damals zweifelsohne zu den Berliner Vororten – weit entfernt von Potsdam, zu dem es heute gehört.2 Eine Autofähre zum Krughorn verkürzte den Weg nach Berlin enorm. Ideale Voraussetzungen also für Berliner, sich ihren Traum von Licht, Luft und Sonne zu erfüllen. E N N 1 Rückwärtige Ansicht des Grete Ring’schen Bungalows mit Grete Ring (2. v. r.), um 1930, Privatbesitz Die Idee der Sommerfrische war nicht neu. Ab 1927 erschienen allerdings vermehrt Ratgeber zum Bau von Sommer- oder Wochenendhäusern – beide Begriffe wurden damals synonym gebraucht.3 Ein bildungsaffines bürgerliches Publikum wollte man mit Goethes Gartenhaus in Weimar als Vorbild gewinnen. Die programmatische Berliner Ausstellung Das Wochenende im April 1927 mit einem Ideenwettbewerb für Wochenendhäuser wurde grundsätzlich und durchaus kritisch diskutiert. »Die Bewegung für das Wochenende, die seit kurzem in Art einer Mode über uns gekommen ist, [...] hängt kulturgeschichtlich zusammen mit der Jugendbewegung, und es läßt sich eine gerade Linie ziehen von den ersten Steglitzer Wandervögeln bis zum komfortablen Wochenendhaus mit vier Zimmern, Küche, Bad und Wasserklosett«,4 beschrieb Alexander Schwab in der Zeitschrift Die Form die Ursprünge und merkte kritisch an, dass »diejenigen Schichten, die sich eine solche Ausgabe [...] leisten können, mit ihrem Geld meistens etwas Gescheiteres anfangen werden als sich für Wochenende und Ferien ein für alle Mal an einen bestimmten Fleck Erde zu binden, und [...] daß ein Auto, das [...] jeden Sonnabend anders wohin tragen kann, heute nicht teurer ist als ein Wochenendhaus«.5 Der Rezensent der Schweizer Bauzeitung merkte an: »Stärker als in der auch hierin konservativeren Schweiz hat in Deutschland die englische Sitte Fuss gefasst, das ›Weekend‹ in der Umgebung der Stadt [...] zu verbringen, eine Bewegung, [...] die soziologisch eine Zwischenstufe zwischen Schrebergarten und Landsitz darstellt.«6 Was Grete Ring als ihr Paradies ansah, können wir heute noch ein wenig nachfühlen dank einer Arbeit der großartigen Fotografin Marianne Breslauer,7 die Anfang der 1930er Jahre über ihren späteren Ehemann Walter Feilchenfeldt in Grete Rings engeren Kreis kam und schließlich zu einer besonderen Freundin wurde. Ihre Fotografie (Abb. 12), wo »Grete Rings wundervoller Pudel Stromian«8 im Steingarten vor den geöffneten Türen des Bungalows sitzt, transportiert etwas von der sommerlichen Leichtigkeit und Freiheit, die das Sacrower Sommerhaus für Grete Ring bedeutet haben muss. Vielleicht schwingt für den heutigen Betrachter auch etwas Wehmut mit, denn Marianne Breslauer datierte die Aufnahme auf das Jahr 1934.9 Grete Ring, deren Familie »nach dem 1. Weltkrieg das Vermögen verlor, [...] (und die deshalb) in den Kunsthandel ging«,10 verdiente 1927 offenbar so gut im Kunstsalon Cassirer, dass sie sich neben dem Aufbau ihrer Kunstsammlung, in die sie bestimmt den Großteil ihrer Einkünfte steckte, sowohl ein Automobil als auch ein Wochenendhaus leisten konnte. Warum sie gerade Sacrow wählte, wissen wir nicht. Im Sommer 1927 erwarb Grete Ring ein Grundstück am seinerzeit noch nicht mit Hausnummern versehenen Weinmeisterweg,11 auf dem sich bereits eine kleine Gartenlaube befand.12 Es war keines der großen Sacrower Doppelgrundstücke mit Uferstreifen für die Villa und landseitigem Teil für Nebengebäude. Sofort begannen die SommerhausPlanungen, für die sie den befreundeten Architekten Wilhelm Büning wählte.13

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