107 Als Paul Cassirer, der Verleger und Kunsthändler, 1926 verstorben war, kam es in der Geschichte seiner Firma zu einem Neuanfang. Nicht nur die Geschäftsleitung musste sich neu organisieren, auch Künstler und Autoren des Hauses Cassirer mussten sich auf die neue Lage einstellen. Zwar waren Dr. Walter Feilchenfeldt und Dr. Grete Ring schon seit Anfang der 1920er Jahre bei Paul Cassirer feste Mitarbeiter und seit 1924 sogar Mitinhaber, mit dem Ausscheiden des Firmengründers standen seine Nachfolger aber vor neuen Erwartungen ihres Umfelds. Bezeichnend ist dafür die Reaktion eines so prominenten Autors und Künstlers wie Ernst Barlach (Abb. 2). Er hatte zwar das »Zutrauen, daß das Haus womöglich im alten Stil weitergeht«, gleichzeitig war er sich aber auch nicht ganz sicher: »Feilchenfeldt, den ich seit einigen Jahren kenne, ist mit Grete Ring Cassirers Fortsetzer, beides 2 Entdeckungen, auf die C[assirer] stolz war. Doch das besagt noch nichts u[nd] beweist nichts.«1 T 1 Marianne Breslauer, Grete Ring und Dr. Walter Feilchenfeldt, Januar bis Februar 1948, Privatbesitz 2 Porträt des Künstlers Ernst Barlach, um 1930 Dabei ist Barlachs Autorschaft bei Paul Cassirer deswegen von herausragendem Interesse für das verlegerische Programm, das Feilchenfeldt und Grete Ring miteinander betreuten, weil dank ihres Engagements 1928 seine Autobiografie Ein selbsterzähltes Leben endlich erscheinen konnte, »ein Buch«, das, wie Barlach 1927 an Reinhard Piper schrieb, »Paul Cassirer schon lange plante, eine Selbsterzählung meines Lebens mit Reproduktionen sämtlicher Arbeiten. Mein Teil ist getan, das Material liegt lange bereit, der Druck kann sogleich beginnen. Ich hoffe, mich kurz genug gefaßt zu haben, was mir beim Schreiben, womit ich in Kissingen begann, im[m]er als Mahnung vor Augen stand.«2 Mit der Niederschrift hatte Barlach in Bad Kissingen, wo er im Juni/Juli 1927 zur Kur gewesen war, begonnen. Mit dem »Material«, das schon »lange bereit« gelegen war, dürften die »Reproduktionen sämtlicher Arbeiten« gemeint gewesen sein. Von der Tatsache, dass die Initiative zum Erscheinen des Buches auf das neue Doppelgespann des Paul Cassirer Verlags zurückging, wird bis heute weder der Anteil von Feilchenfeldt noch das Verdienst von Ring gewürdigt, die im Zusammenhang mit Barlachs Autobiografie für den Verlag den Katalog der Werke Barlachs fertiggestellt hatte.3 Der Grund für dieses Verschweigen lag, wie man vermutet, vor allem darin, dass eine »die Drucklegung begleitende Verlagskorrespondenz« verloren gegangen ist.4 Wir wissen auch nicht, ob Grete Ring überhaupt – und wenn ja, wie oft – zu Barlach nach Güstrow reisen musste, um das von ihr erarbeitete Werkverzeichnis mit dem Künstler zusammen und aufgrund von dessen Angaben abzugleichen. Ring war eine in der Kunsthandlung und im Verlag erprobte Mitarbeiterin, wenn es um Veröffentlichungen
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