Leseprobe

109 deren Einrichtung infolge des politischen Umsturzes in Deutschland 1933 immer häufiger die Absicht verbunden war, Kunstwerke aus dem Besitz verfolgter deutsch-jüdischer Staatsbürger aus Deutschland ins Ausland zu transferieren. 4 Cover des Ausst.-Kat. Französische Maler des XIX. Jahrhunderts, Zürich 1933 Eine erste solche Ausstellung mit Gemälden aus den Sammlungen von Max Liebermann, Estella Katzenellenbogen, Bruno Cassirer und anderen sowie aus der Firma Paul Cassirer veranstaltete das Kunsthaus Zürich vom 14. Mai bis zum 6. August 1933 unter dem Titel Französische Maler des XIX. Jahrhunderts. Eine zweite, kaum ein halbes Jahr später veranstaltete Ausstellung mit dem fast identischen Titel Französische Meister des 19. Jahrhunderts/Vincent van Gogh zeigte die Kunsthalle Bern vom 18. Februar bis zum 2. April 1934;6 bei beiden war Grete Ring organisatorisch persönlich beteiligt und am Ort der Ausstellungen präsent. Am 22. Februar 1934, vier Tage nach Eröffnung der Berner Ausstellung, erstattete Grete Rings Partner Feilchenfeldt aus Bern auf einer offenen Kitschpostkarte folgende Meldung an Marianne Breslauer, seine spätere Frau, in Berlin, kurz bevor Ring in Bern eintraf: »Ich stehe am Bahnhof und warte auf die Hexe [d. i. Grete Ring], die in 10 Minuten aus Paris erscheint. Morgen abend denke ich nach Zürich zu fahren.«7 (Abb. 3 a, b) Es ist nicht anders denkbar, als dass der Zweck ihrer Berner Reise die Ausstellung in der Kunsthalle Bern war. Ihre Mitwirkung an der Zürcher Ausstellung vom 14. Mai bis zum 6. August 1933 (Abb. 4) beleuchtet dagegen noch eingehender als im Fall von Bern das Lebenszeugnis eines anderen Zeitgenossen, nämlich aus der Korrespondenz des Lyrikers Max HerrmannNeiße (Abb. 5), der bereits 1933 nach dem Reichstagsbrand Deutschland verlassen und sich vor der ihm drohenden Verfolgung in die Schweiz abgesetzt hatte. Was er am 14. Mai 1933, am Tag der Ausstellungseröffnung im Zürcher Kunsthaus, aus Zürich seiner Frau Leni Herrmann über ein zufälliges Wiedersehen mit Grete Ring und mit seinem Freund Dr. Walter Feilchenfeldt berichtet, öffnet für einen kurzen Moment das Fenster wie für den Blick in ein anderes, fast unbeschwertes, Leben, das Grete Ring neben ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin und Gelehrte vor allem auf ihren Reisen geführt hat. Herrmann-Neiße schreibt aus Zürich von ihrer Begegnung: »Abends war ich dann im Corso-­ Theater und habe über Bressart, Falkenstein und die Sandrock doch sehr gelacht, wenn auch der Schwank, den sie spielten, mäßig ist. Nachher tranken wir natürlich einen in der Kronenhalle. Gestern vormittags regnete es mal nicht [...] Nachmittag blieb das Wetter schön, ich konnte endlich mal wieder etwas laufen, ging bis Zürichhorn und dann hoch hinauf nach Zollikon, plötzlich hält ein Auto neben mir, und darin sitzen Feilchenfeldt und Grete Ring. Sie sind schon acht Tage hier, wohnen in St. Peter, bereiten eine Ausstellung vor. Grete Ring fährt dieser Tage wieder nach Berlin zurück, Feilchen bleibt hier. Grete Ring erzählte auch, was ich schon zwischen den Zeilen der Zeitungen gelesen hatte, daß jetzt in Deutschland erst die Enteignung auf kaltem Wege beginne, soundsoviele Wirtschaftsführer säßen bereits, womit man die Übergabe ihrer Betriebe erpresse. [...] Sie fuhren

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