13 Was sind die optimalen Voraussetzungen, damit Leben und Werk von Kulturschaffenden in der öffentlichen Wahrnehmung in Erinnerung bleiben? Gibt es – abgesehen von subjektiven Fragen der Qualität – Faktoren, die das Wirken einer Person präsent halten, auch Jahrzehnte nach ihrem Tod? Mit einem kritischen Blick auf die moderne Geschichtsschreibung lässt sich diese Frage sofort bejahen. Im Idealfall ist eine Karriere lückenlos dokumentiert und das Œuvre erhalten, vielleicht in einer prominenten Privat- oder Museumssammlung. Wenn schon zu Lebzeiten Veröffentlichungen von oder zu dieser Person erscheinen, stammen diese im besten Fall aus namhaften Verlagshäusern und werden direkt von Bibliotheken im In- und Ausland erworben. Optimal ist auch ein umfangreiches, gut erhaltenes Archiv an einem zentralen Standort, welches sorgfältig gepflegt wird, vielleicht von Nachfahren der Familie oder Nachfolgerinnen von einem noch existierenden Geschäft. Es schadet auch nicht, wenn die betreffende Person über Jahre hinweg mit einem bestimmten Ort verbunden blieb und ihre Geschichte damit zum Teil der Ortsgeschichte wurde. 1 Grete Ring mit ihrem Pudel im britischen Exil, ca. 1942, Privatbesitz Schon ein kurzer Blick auf das Leben und Werk von Grete Ring (1887–1952, Abb. 1) veranschaulicht ihre bemerkenswerten Leistungen als Kunsthistorikerin und Kunsthändlerin.1 Die gebürtige Berlinerin war eine der ersten Frauen, die in Deutschland in Kunstgeschichte promovierte – ihre Doktorarbeit betreute der legendäre Kunstgeschichtsprofessor Heinrich Wölfflin an der Universität in München. Sie arbeitete für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und für die Nationalgalerie Berlin, bevor sie 1919 auf Empfehlung von Max J. Friedländer (1867–1958) – damals zweiter Direktor der Berliner Gemäldegalerie – in den Kunstsalon Cassirer eintrat, der zu den bedeutendsten Kunsthandlungen Berlins gehörte. Ring pflegte ein breites Netzwerk in der Kunst- und Kulturszene ihrer Zeit, u. a. mit dem Maler Oskar Kokoschka, der sie um 1923 porträtierte (Abb. 2). Nach dem Selbstmord von Paul Cassirer 1926 übernahm sie gemeinsam mit ihrem Geschäftspartner Walter Feilchenfeldt (1894–1953) die Leitung des Unternehmens. Zu Lebzeiten erschienen ihre kunsthistorischen Aufsätze in Fachzeitschriften in ganz Europa. 1949 veröffentlichte sie eine bahnbrechende Monografie zur französischen Malerei zwischen 1400 und 1500, A Century of French Painting, die zu einem Standardwerk auf diesem Gebiet wurde.2 Doch trotz dieser beruflichen Leistungen ist Grete Ring in der Kulturszene des frühen 20. Jahrhunderts etwas in Vergessenheit geraten. Warum ist das so? Dass Ring eine Frau war, in einem von Männern dominierten Feld, hat sicherlich seinen Teil dazu beigetragen. Aber es gibt weitere Faktoren, die eine mindestens genauso große Rolle spielen. So war Grete Ring keine Künstlerin oder Sammlerin, sondern Kunsthändlerin – sie war per Definition als Vermittlerin tätig, zwischen den Hauptakteurinnen und -akteuren, die im Fokus der Kunstgeschichte standen.3 Ihre Projekte waren oft zeitlich begrenzt – Versteigerungen zum Beispiel oder kurzweilige Ausstellungen. Ihre Veröffentlichungen erschienen überwiegend in Wochen- oder Monatsschriften; vor den Jahren der Digitalisierung waren diese für die Nachwelt nur schwer zugänglich. Hinzu kommt die nicht unwesentliche Tatsache, dass Grete Ring wenig Familie hatte: Sie war Einzelkind, nie verheiratet und hatte selbst keine Kinder. Als sie 1952 im Alter von 65 Jahren starb, gab es keine Angehörigen, die sich für den Erhalt ihres Namens für die Nachwelt einsetzten.
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