Leseprobe

41 Aus diesem Grund zeigen zahlreiche Lichtbilder Frauen bei der Ausübung einer als weiblich konnotierten Aktivität – bei der Toilette, im Bad, beim Tanz, beim Musizieren oder beim Bedienen (S. 80, Abb.11; S. 82, Abb.14; S. 85, Abb. 23, sowie im Leporello). Die Fotografien griffen einerseits die Wunschvorstellungen und andererseits bereits vorhandene Bilder auf. Schöne, stereotypisierte Frauen zierten bereits die in Europa populär gewordenen japanischen Farbholzschnitte der Ukiyo-e (Abb.1). Beliebt waren ferner Bordell-Fotografien, wo die Frau im explizit erotischen Kontext stand (S. 145, Abb. 33). Im Gegensatz zu Europa war Prostitution in Japan legal. Sie fand in prachtvollen Bauten statt; Frauen wurden hinter Gitterstäben präsentiert. Einschlägige Reiseführer priesen das Tokyoter Rotlichtviertel Yoshiwara als »besondere Sparte der Soziologie«.7 Man kann sich vorstellen, welchen Reiz der Besuch eines solchen Viertels auf Reisende ausübte. Generell lässt sich feststellen, dass die abgebildeten Japanerinnen auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert wurden. Mit für das europäische Auge reizvollen Kimonos und kunstvollen Frisuren drapiert, folgten sie den Anweisungen der Fotografen, stellten Szenen des Alltags nach und befriedigten so die Schaulust der Adressat_innen (S. 74, Abb. 1; S. 75, Abb. 4; S. 79, Abb. 9). Gerne wurde dies mit der Zurschaustellung einer ethnologisch interessanten Tätigkeit verbunden. Die kolorierte Fotografie der Abbildung auf S. 74 (Abb. 1) zeigt beispielsweise einen Rikschafahrer, der mit Muskelkraft zwei mädchenhafte Lerngeishas in seinem zweirädrigen Lastenkarren transportiert. Die Rikscha war für europäische Tourist_innen das japanische Fortbewegungsmittel schlechthin, konträr zu den vertrauten europäischen Transportmitteln, und daher in unzähligen Darstellungen und Berichten wiedergegeben.8 Der in voller Pracht stehende Blauregen verleiht der Fotografie eine malerische Atmosphäre. Die Assoziation von »Frau« mit »Blüte« wurde von vielen Fotografen aufgenommen, wodurch die dargestellten Personen regelrecht verniedlicht und in letzter Konsequenz degradiert wurden (z. B. S. 78, Abb. 8; S.111, Abb. 3). Denn was klein und niedlich ist, kann erstaunen oder bezaubern, aber keineswegs bedrohen.9 Japans Bevölkerung wurde gemäß dem europäischen Diskurs gemeinhin als Naturvolk bezeichnet. Es bestand die Vorstellung, dass sie im Einklang mit ihrer Umwelt, im Wechsel der Jahreszeiten und in tiefer Verehrung der Natur lebten.10 Laut Vincent Van Gogh lebte die japanische Bevölkerung gar in der Natur, als seien sie Blumen.11 Das Vorstellungsbild wird bei Betrachtung der Fotografien deutlich, die den Irisgarten in Horikiri in Tokyo ablichten (S. 111, Abb. 3–4). Meisterlich wurde hier das Blütenmeer der Schwertlilien mit zarten Pastelltönen koloriert und dadurch akzentuiert. Farbe erhielten ebenso die in Kimonos gekleideten Kellnerinnen des Teehauses. Einerseits beleben die jungen Frauen das Bild als dekorative Elemente, ande1 Torii Kiyonaga, Entertainers of the Tachibana, aus der Serie A Collection of Contemporary Beauties of the Pleasure Quarters (Tosei yuri bijin awase), 1777–1787, Farbholzschnitt, Art Institute Chicago, Clarence Buckingham Collection Torii Kiyonaga, Entertainers of the Tachibana, from the series A Collection of Contemporary Beauties of the Pleasure Quarters (Tosei yuri bijin awase), 1777–1787, colour woodblock print, Art Institute Chicago, Clarence Buckingham Collection For this reason, numerous photographs depict women performing activities heavily connoted with the feminine – in the powder room, in the bathroom, dancing, making music, or serving tea, et cetera (p. 80, fig. 11; p. 82, fig. 14; p. 85, fig. 23 as well as in the Leporello). The photographs enshrined wishful thinking on the one hand, and on the other, drew upon pre-existing images. Beautiful, stereotypical women already adorned Japanese ukiyo-e woodblock prints that had become popular in Europe (fig. 1). Photographs of brothels, where women were placed in explicitly erotic contexts (p. 145, fig. 33), were also popular. In contrast to Europe, prostitution was legal in Japan. It took place in magnificent buildings; women were presented behind bars. Relevant travel guides praised Tokyo’s red-light district – Yoshiwara – as a “special branch of sociology”.7 One can imagine the appeal that a visit to such a district must have held for western visitors. In general, it can be said that the depiction of Japanese women was reductive, focusing wholly on their external appearance. Dressed in elegant kimonos and sporting elaborate hairstyles attractive to the European eye, they followed the instructions of the photographers, recreating scenes of everyday life and thus satisfying the curiosity of the addressees (p. 74, fig. 1; p. 75, fig. 4; p. 79, fig. 9). This was often combined with the depiction of a specific activity, incurring ethnological interest. The coloured photograph in p. 74, fig. 1, for example, shows a rickshaw driver using sheer muscle power to transport two young apprentice geishas in his two-wheeled conveyance. For European tourists, the rickshaw was the Japanese means of transportation par excellence, wholly at variance with familiar modes of transportation in Europe, and therefore reproduced in countless depictions and personal reportage.8 The wisteria standing in its magisterial splendour lends the photographic setting a painterly atmosphere. The association of ‘woman’ with ‘blossom’ has been adopted by many photographers as a motif, thereby more or less trivialising and, ultimately, degrading the individuals depicted (e. g., p. 78, fig. 8; p. 111, fig. 3), inasmuch as diminutive, pretty things can amaze or charm one, but by no means pose a threat.9 According to the prevalent discourse in Europe at the time, Japan’s population was commonly referred to as a people in tune with the natural world. In the popular

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