Leseprobe

62 Weimar unter Leitung von Otto Bartning lebte die Erinnerung an das Haus Am Horn aber weiter, zumal Erich Dieckmann, Ludwig Hirschfeld-Mack, Otto Lindig, Wilhelm Wagenfeld und Richard Winkelmayer direkt am Haus und an der Ausstellung 1923 beteiligt waren.  Mit den Landtagswahlen am 8. Dezember 1929 wurde die NSDAP zweitstärkste politische Kraft in Thüringen und an der Regierung beteiligt. Wilhelm Frick leitete als stellvertretender Ministerpräsident und zuständiger Minister die erste direkte Aktion »entartete Kunst« ein, entließ alle Bauhaus-Lehrkräfte der Bauhochschule und etablierte den langjährigen Sympathisanten des Nationalsozialismus, den Architekten Paul Schulze-Naumburg, als neuen Direktor. Die Bauhaus-Moderne wurde offiziell zum kulturpolitischen Feindbild erklärt, die ModerneAbteilung an den Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar auf ministerielle Anweisung hin geschlossen und die verbliebenen Kunstwerke des Bauhauses in den Hochschulgebäuden zerstört oder übermalt.  Der Abriss des Hauses Am Horn wurde spätestens 1933 als Übungsaufgabe an der Bauhochschule durchgespielt. Das belegt kurioserweise der erhaltene Entwurf Rudolf Ortners, der zuvor am Bauhaus in Dessau und Berlin studiert hatte. Nach der endgültigen Schließung des Bauhauses 1933 empfahl Ludwig Mies van der Rohe seinem Studierenden die Fortsetzung des Studiums in Weimar. Und die erste große Entwurfsaufgabe sah den Ersatz des Hauses Am Horn durch den Neubau eines Einfamilienhauses nach den Vorgaben Schulze-Naumburgs vor. Ortner entschied sich für eine Adaption des Goethe-­ Gartenhauses mit Ausrichtung nach Süden.11  Ende der 1930er Jahre wurde das Haus Am Horn mit seinem Grundstück in die Planungen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) für ihr zentrales Schulungsprojekt, der »Adolf-­ Hitler-Schule« (AHS) involviert. In diesem Kontext verkaufte Kühn das Haus an die DAF. Das Vorhaben AHS wurde wegen des Kriegsbeginns 1939 nicht weiterverfolgt und schließlich aufgegeben. Das Haus Am Horn entging so dem geplanten Abriss und wurde 1938 bis 1945 an den Major und Reserveoffizier Ewald Zoeth und dessen Familie vermietet.12  Nach der Besetzung Weimars durch die amerikanische Armee im April 1945 und die Übergabe an die Sowjetische Militäradministration am 6. Juli 1945 wurden alle Nazi-Organisationen enteignet und das Haus als Eigentum an den FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) übergeben und durch die Stadt Weimar verwaltet. 1951 wurde es zum »Volkseigentum« erklärt, der Stadt Weimar übertragen und durch die Kommunale Wohnungsverwaltung (KWV) verwaltet.13  Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg wurde der knappe Wohnraum auch nach 1945 zwangsbewirtschaftet. Das bedeutete die Zuweisung von Wohnraum mit Berechtigungsscheinen und die Aufteilung des Hauses Am Horn 1946/47 auf bis zu drei Parteien mit zehn Personen. In den 1950er Jahren lebten im Haus die Ehepaare Weinert und Zeuner sowie die Familie Glimm mit zwei Kindern.  Mit dem Auszug der Familie Glimm 1970 verblieb nur noch die 1963 eingezogene Buchbindemeisterin Christa Martin im Haus. So konnte die junge Familie Marlis und Bernd Grönwald14 mit ihren Söhnen Jens und Ingo in den größeren Teil des Hauses einziehen. Als MitarbeiterInnen der Hochschule für Architektur und Bauwesen kannten sie die Geschichte und den kulturhistorischen Wert des Gebäudes. Sie enga11 Vgl. Rudolf Ortner: Einfamilienhaus »Am Horn«, Hochschule Weimar, Sommersemester 1933, Archiv Deutsches Architekturmuseum Frankfurt a.M. 12 Vgl. Rintallo (Anm.4), S. 154– 162. 13 Vgl. Rintallo (Anm.4), S. 163. 14 Bernd Grönwald wurde nach seiner Zeit als Oberassistent und Parteisekretär 1979 zum Professor für Architekturtheorie an der HAB Weimar berufen. Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/ Bernd_Grönwald; seine Frau Marlis wirkte lange Jahre als Leiterin der Kustodie. 15 Bereits 1964 hatte der ehemalige Bauhäusler Konrad Püschel als Dozent der Weimarer Hochschule mit Studierenden eine Bauaufnahme des Bauhaus-Gebäudes in Dessau in Vorbereitung geplanter Bau- und Restaurierungsmaßnahmen vorgenommen. In diesem Kontext regte Prof. Hermann Räder auf einer Tagung in Weimar im Oktober 1964 die Rekonstruktion des Hauses Am Horn mit anschließender Einrichtung einer Ausstellung an.

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